Wahlbeteiligung: Die Alten überliessen das Feld den Jungen

Christoph Krummenacher
Christoph Krummenacher

Bern,

Migration und die EU-Frage spielten im Wahlkampf 2019 höchstens eine Nebenrolle. Das mobilisierte unterschiedliche Wählerschichten, erklärt Marc Bühlmann.

"Grüne Welle"
Eine «grüne Welle» überflutete am Wahlsonntag die Schweizer Politlandschaft. - Pixabay/Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Dass die SVP-Basis weniger an die Urne ging, erklärt teilweise die tiefe Wahlbeteiligung.
  • Politikwissenschaftler Marc Bühlmann erklärt zudem, woher die «grüne Welle» kam.
  • Ausserdem könnten die Grünen einen Teil ihrer Sitze schon bald wieder abgeben müssen.

Bei den nationalen Wahlen flutete die «grüne Welle» die politische Landschaft. Dabei spülte das Schweizer Stimmvolk nicht nur mehr grüne, sondern auch weibliche Köpfe in den Nationalrat. Doch: Die 200 neuen Nationalräte repräsentieren nicht mal jeden zweiten Schweizer Stimmberechtigten. Denn gewählt haben nur 45,1 Prozent.

Das überrascht. Durchschnittlich wählen in der Schweiz 48 Prozent. Im Vorfeld der diesjährigen Wahlen gingen Beobachter davon aus, dass die Wahlbeteiligung steigen würde. Womöglich gar über 50 Prozent.

Wahlen
Die Wahlbeteiligung lag 1919 bei über 80 Prozent. Am 20. Oktober 2019 nutzen gut 45 Prozent der Wahlberechtigten ihr Wahlrecht. - BFS, Nau

Überrascht ist auch Marc Bühlmann, Direktor des Politikwissenschaftinstituts Année Politique Suisse der Uni Bern. «Seit 1995 war die Wahlbeteiligung immer angestiegen. Ich bin erstaunt, dass sie dieses Jahr deutlich zurückging. Das ist eine fast enttäuschende Wahlbeteiligung.»

Bühlmann zweifelte jedoch an den erwarteten 50 Prozent, da die Einschätzung auf den eingegangen Wahlcouverts beruhte. «Doch in den letzten Jahren wählen immer mehr Schweizer brieflich, derzeit liegt die Quote in einigen Kantonen gar über 90 Prozent.»

Uni Bern Bühlmann
Professor Marc Bühlmann, Politikwissenschaftler Uni Bern. Alle vier Jahre sind etwa 150'000 zusätzliche Personen wahlberechtigt. Der Rückgang der Prozentzahl ist so nicht unbedingt negativ. - Uni Bern

Der Politikwissenschaftler weiss: «Grüne und junge Wähler sind generell schwer an die Urne zu bringen. In der Tat scheinen die Grünen vor allem auch Stimmen bei der SP abgeholt zu haben.»

Es gab also nicht unbedingt eine zusätzliche Mobilisierung, sondern vor allem eine Verschiebung innerhalb des linken Lagers. «Diese Konkurrenz auf der linken Seite erklärt sicher auch einen Teil der Verluste der Sozialdemokraten.»

Themenlage spielte SVP nicht in die Karten

«Umgekehrt konnte die SVP ihre Wählerbasis weniger gut mobilisieren als noch 2015. Rechtsbürgerliche Wähler lassen sich mit Themen wie Gleichstellung oder der Klimafrage weniger gut an die Urne bringen.»

Das bedeutet: In der Summe war der Rückgang rechter Wähler also grösser als die Zunahme linker Wähler. «Die SVP erreicht mit knapp 26 Prozent wohl ihr realistisches Niveau. Vor vier Jahren konnte sie dank der hohen Flüchtlingszahlen noch zusätzliche Protestwähler gewinnen.» Bei den Wahlen 2007, 2011 und 2015 lag die Wahlbeteiligung höher, gleichzeitig war das Thema Migration damals öffentlich sehr präsent.

Wahlen
Die SVP verliert 12 Nationalrats-Mandate, während die Grünen 17 Sitze zulegen. - Nau

Dieser Effekt könnte auch bei den Grünen spielen, meint Bühlmann: «Möglicherweise wandern in vier Jahren wieder einige Sitze von den Grünen an die SP zurück, wenn das Klimathema an Brisanz verloren hat.»

Grundsätzliche Zunahme der Wahlbeteiligung

Indes werde interessant sein zu beobachten, wie sich die Verjüngung und Verweiblichung des Parlaments im Politikalltag auswirken werde, so Bühlmann. Der Graben zwischen links und rechts droht, noch grösser zu werden.

Und wie geht es mit der Wahlbeteiligung weiter? «Eigentlich ging ich davon aus, dass die Wahlbeteiligung langfristig steigen würde, weil dank der SVP das Interesse an der Politik gestiegen war», so Bühlmann. Diese Entwicklung scheint nun vorerst gestoppt.

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