Warum so viele Ukraine-Flüchtlinge kommen und gehen
Monatlich kommen immer noch Hunderte Ukraine-Flüchtlinge in die Schweiz – oder verlassen sie wieder. Doch insgesamt ist der Bestand stabil.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bestand an Ukraine-Flüchtlingen hat sich bei knapp 70'000 Personen eingependelt.
- Monatlich stossen Hunderte neu dazu – aber etwa gleich viele verlieren den Status S.
- Im Interview sagt der Ukraine-Schweizer Sascha Volkov, was die Gründe dafür sind.
Bei rund Tausend Flüchtlingen aus der Ukraine wurde im März der Schutzstatus S beendet. Das klingt nach viel, ist aber über längere Zeiträume betrachtet in etwa Durchschnitt. Gleichzeitig kommen nach wie vor Hunderte neue Flüchtlinge aus der Ukraine in die Schweiz.
Nau.ch hat mit Sascha Volkov vom ukrainischen Verein Schweiz über die Gründe dafür geredet. Immerhin macht die Schweiz zum ersten Mal Erfahrungen mit der Anwendung des Schutzstatus S. Zumindest im Fall der Ukraine scheint es ein beständiges Kommen und Gehen zu sein.
Nau.ch: Herr Volkov, wie muss man diese Zahlen verstehen? Abgesehen von den ersten Monaten gibt es einen ziemlich konstanten Fluss von Ukraine-Flüchtlingen in die Schweiz – und zurück. Bleiben demnach viele nur einige Monate?
Sascha Volkov: Nach meiner Beobachtung bleiben die meisten permanent hier, weil sich die Lage grundsätzlich nicht ändert. Das sind etwa zwei Drittel – aber im restlichen Drittel gibt es relativ viel Bewegung.
Nau.ch: Pro Monat sind es im Durchschnitt Hunderte, die den Status S verlieren. Das geschieht, weil sie länger als 15 Tage in die Heimat gereist sind, oder weil sie sich aktiv abmelden. Was sind denn die Gründe fürs Verlassen der Schweiz?
Volkov: Es kann sein, dass etwas nicht passt – viel hängt zum Beispiel mit der Unterkunft zusammen. Man will ja nicht jahrelang in einem Bundesasylzentrum leben. Ein anderes Szenario ist, dass man anderen Familienmitgliedern folgt, die in einem anderen Land untergekommen sind.
Dann gibt es natürlich jene, die in die Ukraine zurückgehen, weil sie dort vielleicht noch eine Unterkunft haben. Häuser sind diesbezüglich eher ein Problem als Wohnungen, die man eher noch leerstehend lassen kann. Ich habe das selbst gesehen bei meinen Eltern, die drei Monate weg waren aus der Ukraine. Danach hatten sie im Garten ein perfektes Stück ukrainische Steppe.
Nau.ch: Den grossen Ansturm von Ukraine-Flüchtlingen erlebte die Schweiz vor zwei Jahren, also unmittelbar nach Beginn der russischen Invasion. Was sind aktuell die Gründe, warum nach wie vor Ukrainerinnen und Ukrainer das Land verlassen?
Volkov: Im Moment gibt es zum Glück keine grosse Flüchtlingswelle. Es gibt keine Massenbewegung, aber Bewegung: Ein Krieg ist ja kein Zustand, sondern ein Prozess. Flüchtende gibt es aktuell von Regionen in der Nähe der Kriegsfront und wegen der Strategie Russlands, «sanitäre Zonen» zu schaffen. Das heisst: Ganze Regionen unbewohnbar zu machen.
Die meisten reisen aber nicht ins Ausland, sondern in den Westen der Ukraine. Allgemein kann man sagen: Es gibt keinen Hauptgrund, sondern vielfältige Gründe.
Nau.ch: Für die Schweiz bedeutet dies interessanterweise, dass ziemlich genau gleich viele Personen den Status S erhalten und verlieren. Die Anzahl Ukraine-Flüchtlinge hat sich schon wenige Monate nach Kriegsbeginn eingependelt. Seit rund einem Jahr liegt dieser Wert bei knapp 70'000. Warum ist das so?
Volkov: Das ist Zufall. Eigentlich, wenn die militärische Lage nicht prekär geworden wäre, würden die Leute im Frühling zurückreisen. Dann hätte die Anzahl Flüchtlinge abgenommen.
Im Herbst wird es davon abhängen, in welchem Zustand die Energieversorgung ist. Und die Luftabwehr: Ob zum Beispiel die Millionenstadt Charkiw geschützt werden kann. Dies wiederum hängt zu grossen Teilen von Waffenlieferungen Westeuropas und der USA ab.
Meine Eltern sind in der Ukraine in der Nähe von Kiew. Dort ist die Energieversorgung eher besser als auf dem Land. Aber sie überlegen sich jetzt, eine Solaranlage und Batterie zu installieren. Wenigstens für den Sommer – denn Stromgeneratoren mit Benzin zu betreiben, ist sehr teuer.