Wirtschaftssoziologin: Diese Lehren ziehen wir aus der Corona-Krise
Die Krise, welche das Coronavirus verursacht, kennt verschiedene Facetten. Doch die Notlösungen bieten der Gesellschaft auch neue Chancen, so eine Soziologin.
Das Wichtigste in Kürze
- Wer nur in Geld-Dimensionen denke, vergesse verschiedene Aspekte der Corona-Krise.
- Die Soziologin Katja Rost erklärt, wo sich der Gesellschaft neue Möglichkeiten auftun.
- Der Zufall werde künftig wieder wichtiger, aber auch die Vorsorge oder die Nachhaltigkeit.
Die Schweiz wird sich vom Coronavirus erholen. Die unvermeidbaren Einschnitte werden allerdings Narben hinterlassen. Die Folgen haben dabei mehr Dimensionen als nur die wirtschaftliche.
Die ökonomischen Kosten, die gut in Geld quantifiziert werden können, stünden zwar im Vordergrund, sagt Katja Rost. Die Sozialwissenschaftlerin forscht an der Uni Zürich unter anderem zu Wirtschaftssoziologie.
In Dimensionen des Geldes denken
«Dass alles in Geld gemessen und gewertet wird, ist eine Merkmal der heutigen Zeit», erklärt Rost. Allerdings würden «gerade in Krisen wie der Corona-Pandemie, wo es um Leben und Tod geht» die Grenzen der Geld-Logik sichtbar. Gefragt sei etwa auch Zuneigung, wie der Ansturm auf die Telefonberatungen zeige.
Auch Beziehungen sind eine Form von Kapital
Neben dem ökonomischen gebe es weitere Formen von Kapital, die in der Krise Schaden nehmen. «Ich denke etwa an das soziale Kapital, also die Beziehungen und Kontakte zwischen den Menschen», so Rost.
Oder kulturelles Kapital, das man sich erarbeite, indem man rausgehe, die Stadt erlebe oder Museen anschaue. «Das sind Dinge, die bei Verlust das Selbstwertgefühl von Menschen schmälern können.»
Dazu komme das Humankapital, was mit der Frage der Ausbildung zusammenhängt. «Gerade für junge Leute kann die jetzige Situation einen Unterbruch der Schule oder Ausbildung bedeuten, so dass ihnen hierdurch längerfristige Nachteile erwachsen», sagt die Soziologin.
In der Familie bedeutet das Zusammenrücken einerseits eine Chance, so Rost. «Aber über Monate die Kinder bei Laune zu halten, keine Möglichkeit zu haben sie einmal abzugeben, zu schauen, dass sie für die Schule lernen – das ist sicher auch eine Herausforderung.» Ganz besonders für Kinder aus sozioökonomisch schlechter gestellten Elternhäusern.
Starker Glaube an die Vernunft
Umso erstaunlicher: Die Menschen vertrauen auf die Vorgaben der Regierung, sie bleiben folgsam zuhause. «Ich denke das hat damit zu tun, dass andere Länder schon rigider vorgemacht hatten, was zu tun ist», sagt Rost. «Es gab wenig Diskussionen, die Gefahr war allen bewusst.»
Man könne das mit der Situation auf dem Schlachtfeld vergleichen. «In solchen Situationen muss man plötzlich entscheiden wer überlebt und wer stirbt. Damit wird eine Grenze, eine ethische Linie überschritten und vielen ist das klar.» Weil die Menschen Angst haben, vertrauen sie den Entscheidungen von Wissenschaft und Regierung.
Lehren aus der Corona-Krise
Erfahrungen wie diese werden die Coronakrise überdauern. Ausserdem: «Das Schicksal wird künftig eine grössere Rolle spielen. Wir werden uns wieder bewusster, dass Erfolg viel mehr mit Glück und Zufall zu tun hat als wir bisher glaubten», so Professorin Rost.
«Der Gesellschaft wird durch die Corona-Pandemie zudem vor Augen geführt, dass die Globalisierung auch Schattenseiten hat», so Katja Rost weiter. Das Virus konnte sich auch wegen der durch die Globalisierung stark vernetzten Welt so rasant und so weit verbreiten. «Das wird dem Protektionismus und Nationalismus weiter Vorschub leisten», glaubt Rost.
Mehr Homeoffice und mehr Nachhaltigkeit
Die Organisation im Homeoffice – auch bei Schulen – werde zu einer Flexibilisierung der Arbeit und des Unterrichts führen. Diesbezüglich wird die Welt auch nachhaltiger: Nun hat sich gezeigt, dass man nicht zu jeder Konferenz, Messe oder jedem Geschäftstreffen fliegen muss. Man kann eine Sitzung auch per Skype oder Telefonkonferenz abhalten.
Das Fliegen könnte in Zukunft daher als Risikofaktor wahrgenommen werden. Rost erklärt: «Moralische Appelle funktionieren oft nicht, beispielsweise bei der Empfehlung weniger zu fliegen, um das Klima zu schützen. Soziale Normen und sozialer Status hingegen haben einen sehr grossen Einfluss auf unser Handeln.» Genau diese Normen könnten sich nun verschieben: Es könnte verpönt werden, viel zu reisen und weit zu fliegen.
Dass sich langfristige Traditionen und Gewohnheiten ändern, erwartet die Wirtschaftssoziologin aber nicht. «Ich glaube nicht, dass wir künftig stets zwei Meter Abstand im Restaurant oder in der Einkaufsschlange fordern, nie mehr Begrüssungsküsschen geben oder zu öffentlichen Anlässen nur noch mit einem Mundschutz gehen werden.»