Anstieg antisemitischer Übergriffe alarmiert Frankreich
Die französische Regierung schlägt wegen des Anstiegs antisemitischer Übergriffe Alarm: Das Innenministerium verzeichnete im vergangenen Jahr 541 Fälle - ein Anstieg um 74 Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Jahr 2017.
Das Wichtigste in Kürze
- Zahl der Fälle steigt um 74 Prozent - Innenminister Castaner nennt Hass auf Juden «Gift».
«Der Antisemitismus breitet sich aus wie ein Gift», warnte Frankreichs Innenminister Christophe Castaner. Der jüdische Dachverband (Crif) forderte am Dienstag einen «Ruck» durch die Gesellschaft.
Nach Angaben des französischen Innenministeriums wurden im vergangenen Jahr gut 180 antisemitische «Taten» gezählt - darunter ein Mord - und knapp 360 «Drohungen». Die Zahl der rassistischen und fremdenfeindlichen Übergriffe ging dagegen um gut vier Prozent auf knapp 500 Fälle zurück.
Der jüdische Dachverband Crif betonte, der Hass sei in der französischen Gesellschaft tief verankert. Die Zahlen spiegelten nur teilweise den «alltäglichen Antisemitismus» wider, mit dem viele Gemeindemitglieder konfrontiert seien, erklärte Crif-Präsident Francis Kalifat.
Für landesweite Empörung sorgte im März 2018 die Ermordung der 85-jährigen Jüdin Mireille Knoll. Ihre von Messerstichen übersäte und teilweise verbrannte Leiche wurde in ihrer Pariser Sozialwohnung gefunden. Tatverdächtig ist unter anderem ein muslimischer Nachbar, dem die Ermittler Antisemitismus vorwerfen.
Einflussreiche Politiker, Künstler und Intellektuelle prangerten daraufhin in einem Manifest eine «lautlose ethnische Säuberung» an, die auf eine «islamistische Radikalisierung» zurückzuführen sei. In Frankreich leben schätzungsweise vier bis fünf Millionen Muslime, so viele wie in keinem anderem Land der EU. Die Zahl der Juden wird auf gut eine halbe Million geschätzt.
Der Antisemitismus-Beauftragte der französischen Regierung, Frédéric Potier, machte für den deutlichen Anstieg dagegen Rechtsextreme verantwortlich, die in Online-Netzwerken und auf der Strasse neuerdings wieder «gewalttätig» und mit «scharfen» Parolen aufträten.
Regierungssprecher Benjamin Griveaux beschuldigte auch die Protestbewegung der «Gelbwesten», eine Mitverantwortung zu tragen. Am Rande ihrer Kundgebungen tauchten oft «absolut inakzeptable antisemitische Schmierereien» auf, betonte er.
In Paris waren am Wochenende mehrere antisemitische Schmierereien gefunden worden. Auf das Schaufenster einer Bagel-Bäckerei im Zentrum von Paris sprühten Unbekannte auf Deutsch das Wort «Juden». Zudem wurden Briefkästen mit dem Porträt der Auschwitz-Überlebenden Simone Veil mit Hakenkreuzen beschmiert.
Auch antisemitische Schmähungen gegen Präsident Emmanuel Macron tauchten auf. Auf einem Garagentor im Zentrum der Hauptstadt wurde Macron als «Judenhure» bezeichnet. Eine ähnliche Inschrift wurde am Sitz der Zeitung «Le Monde» in einem Aussenbezirk gefunden. Der Präsident arbeitete früher als Investmentbanker bei Rothschild.
Einen Höhepunkt hatten die antisemitischen Übergriffe im Jahr 2015 mit 808 Fällen erreicht. Dazu zählten vier Menschen, die im Januar 2015 bei einer islamistischen Geiselnahme in dem Pariser Supermarkt Hyper Casher getötet wurden. In den beiden Folgejahren sank die Zahl der Übergriffe zunächst, 2017 wurden 311 Fälle registriert.