Der Dalai Lama und seine vielen Gesichter
Das Wichtigste in Kürze
- Das tibetische Institut in Rikon ZH feiert 50-jähriges Jubiläum.
- Zu diesem Anlass besucht der 14. Dalai Lama die Schweiz.
- Nau hat auf seine über 600-jährige Karriere zurück geblickt.
Als Tendzin Gyathso geboren wird, beginnt kein neues Leben. Es ist ein uraltes, das er weiterführen wird. Denn Gyathso ist die 14. Reinkarnation des «Ozeangleichen Lehrers» - das nämlich bedeutet die Bezeichnung «Dalai Lama».
Geht man nach dem tibetischen Buddhismus, der die Wiedergeburt als gegeben annimmt, so begann das Leben des Dalai Lama vor mehr als 600 Jahren. 1391 wurde Gendün Drub als Kind einer Nomadenfamilie geboren. Als der Vater starb, floh er in ein buddhistisches Kloster. Dort wurde aus dem siebenjährigen Viehhirten ein Mönch, Lehrer und schliesslich geistlicher Führer, der versprach, so oft auf die Erde zurückzukehren, bis das Leid aller Lebewesen behoben sei.
Party im Palast
Während 600 Jahren zeigte der Dalai Lama viele Gesichter. Da war zum Beispiel der «grosse fünfte Dalai Lama» - der alles andere tat, als Frieden zu predigen. Er verbündete sich kurzerhand mit einem mongolischen Fürsten, liess dessen Armee in Tibet einfallen und übernahm so auch die politische Führung des Landes.
Es scheint, als habe der Schritt vom Mönch zum gefeierten Staatsmann den Dalai Lama ermüdet. Auf ein Leben als Kriegstreiber folgte das eines Schürzenjägers. Der sechste Dalai Lama zog mit stets vollem Bierkrug durch Tibets Hauptstadt Lhasa, statt in Abgeschiedenheit zu meditieren. Er feierte lieber mit seinen Freunden im Palastgarten, als sich mit Würdenträgern und Staatsoberhäuptern zu treffen. Der junge Mönch rühmte sich gerne damit, keine Nacht allein verbracht zu haben. Verliessen seine Betthupferl dann am frühen Morgen den Palast, setzte das Oberhaupt Tibets sich hin und schrieb bis heute bekannte Lyrik und Prosa.
Eines seiner Gedichte geht so: «Wenn die Jungfrau für immer lebt, wird der Wein noch weiter fliessen. Die Taverne ist mein Himmel, mit Wein bin ich glücklich.»
Allerdings ereilte den Lebemann ein vorzeitiges Ende: Von einer Reise nach China, bei der viel Alkohol geflossen sein soll, kehrte der Frauenheld nimmer wieder. Stürzte er betrunken eine Klippe herunter? Haben verzweifelte Berater ihn «entsorgt»? Oder hat eine mysteriöse Krankheit ihn dahingerafft?
Der neuste Mythos
Die Jahrhunderte zogen ins Land, die Dalai Lamas waren relativ brav. Bis in der Nacht vom 17. März 1959 ein weiterer Mythos geboren wird: Chinesische Truppen besetzen Tibet. Gerüchte machen die Runde. Der 23-jährige tibetische Gottkönig soll entführt werden. Verschleppt ins Reich der Mitte.
Während die Tibeter sich zu Tausenden vor dem Palast ihres Oberhauptes einfinden, um den Dalai Lama zu schützen, beschliesst dieser, dass niemand für ihn sterben soll. Er legt seine Mönchskutte ab und flieht unter grosser Gefahr durch den Himalaya nach Indien. Von dort aus wird er mit seiner Botschaft des Friedens, der nächsten Liebe und nicht zuletzt mit seinem Charisma so viele Menschen berühren, wie noch nie in seinen vielen Leben. Doch obwohl er bis heute beinahe pausenlos durch die ganze Welt reist – aktuell weilt er in der Schweiz – nach Hause kam der 14. Dalai Lama nie wieder.