Die Klimabewegung drängt und der Klimagipfel steht still
Das Wichtigste in Kürze
- Am Sonntagmorgen ging die Klimakonferenz nach 40-stündiger Verlängerung zu Ende.
- Konkrete Ergebnisse gibt es nicht.
- Klimaschützer zeigen sich nach dem Gipfel frustriert und entsetzt.
«Zeit zu Handeln»: Dieses Motto war auf der Klimakonferenz überall zu lesen, aber die Staaten enttäuschten die hohen Erwartungen vor allem der jungen Menschen. In Madrid prallten Welten aufeinander, zusammen fanden sie nicht. Jetzt bleibt allein der Blick nach vorn.
Das Jahr der grossen Klimaproteste endet mit einer bitteren Enttäuschung für Fridays for Future – und für alle, die dachten, dass Klimaschutz jetzt überall ganz oben auf der Agenda steht. Handelt jetzt, schnell und entschieden, lauter hätte der Ruf vor allem junger Klimaaktivisten kaum sein können auf dem Uno-Klimagipfel in Madrid. Greta Thunberg und ihre Mitstreiter waren überall zu sehen und zu hören, wurden in fast jeder Rede genannt und gelobt. Erhört wurden sie nicht.
Zwar einigten sich die knapp 200 Länder nach Marathonverhandlungen und einer Rekord-Verlängerung von mehr als 40 Stunden auf eine gemeinsame Abschlusserklärung - und selbst das war lange unklar. Sie wurde aber am Sonntag von den übermüdeten Klimadiplomaten mit sehr spärlichem Applaus begrüsst.
Zu viel war in den vergangenen Tagen und Nächten passiert – und doch zu wenig. Andere Einigungen, die wichtig gewesen wären, wurden vertagt. Entsprechend gross ist der Frust – aber er war absehbar. Denn in Madrid sind zwei Welten aufeinandergeprallt.
Da ist die Welt der Klimaschutzbewegung, die mit Fridays for Future so laut, fordernd und wütend ist wie nie zuvor. Thunberg hat für diese Konferenz gleich zwei Mal den Atlantik überquert, Stürmen und Seekrankheit getrotzt - weil die junge Schwedin auch persönlich ein Zeichen setzen will gegen die massiven CO2-Emissionen von Flugzeugen. In Madrid wird sie als Star gefeiert. Am Tag, an dem sie im Plenarsaal spricht, kürt das «Time Magazine» sie zur Person des Jahres.
«Wir beobachten Euch!»
Die Jugendlichen machen gemeinsame Sache mit den Indigenen, die in Madrid für das Überleben ihrer Heimat kämpfen und in traditioneller Kleidung samt Federschmuck im Haar für ihre Sache mobil machen. «Der Wald ist unser Supermarkt!», sagt eine Aktivistin aus Myanmar mit Blick auf die weltweite Zerstörung der Regenwälder. «Wir Indigenen haben schon immer auf eine Weise gelebt, die die Umwelt respektiert.» Viele Aktivisten in Madrid haben sich Augen in die Handflächen gemalt, um den Mächtigen zu sagen: «Wir beobachten Euch!»
Und da ist die Welt der mühsamen Klima-Weltpolitik, wo um die winzigste Formulierung tagelang gestritten wird, wo fast 200 Staaten mit denkbar unterschiedlichen Interessen an einem Strang ziehen und am Ende halbwegs einstimmig entscheiden sollen. Und das in Zeiten von Präsidenten wie Donald Trump in den USA oder Jair Bolsonaro in Brasilien. «Die Geopolitik spielt hier schon eine Rolle», sagt ein Verhandler vorsichtig - und alle wissen, was gemeint ist.
Dass die Konferenz am Sonntag mit zwei Tagen Verspätung endet, lässt erahnen, was in den Verhandlungsräumen los war. Optimismus wich am Wochenende blank liegenden Nerven und tiefen Augenringen.
Die chilenische Konferenzleitung - Madrid war nur wegen der Unruhen in dem südamerikanischen Land kurzfristig als Gastgeber eingesprungen - wirkte immer wieder überfordert, machte strategische Fehler, technische Probleme führten zu Chaos in der Abschlusssitzung.
Um was ging es überhaupt?
Um Regeln für den internationalen Handel mit Klimaschutz-Gutschriften - er soll Industriestaaten ermöglichen, ihre Ziele fürs Einsparen von Treibhausgasen teilweise im Ausland zu erreichen, sprich: Sich Klimaschutz anderswo zu kaufen. Dazu gelang keine Einigung.
Nicht nur die deutsche Bundesregierung hatte die Haltung vertreten: Hier lieber gar nichts machen, als es schlecht zu machen. «Der Angriff auf die Integrität des Pariser Abkommens ist abgewehrt worden», lobt auch Klimapolitik-Experte Christoph Bals von Germanwatch. Schlimmes verhindern kann manchmal fast wie Fortschritt wirken.
Wie immer ging es auch ums Geld. Hurrikans, Starkregen und Dürren haben auch in diesem Jahr vielen ärmeren Ländern wieder schwer zugesetzt. Viele von ihnen zeigten sich zum Abschluss schwer enttäuscht – Optimisten glauben aber, dass Schäden durch Extremwetter, die der Klimawandel verstärkt, in Folge der diesjährigen Beschlüsse in Zukunft eine deutlich grössere Rolle spielen können.
Und der Klimaschutz an sich? Das war das wohl grösste Problem dieser Konferenz, jedenfalls für ihre Aussenwirkung. Denn mit dem Pariser Klimaabkommen hat die Weltgemeinschaft 2015 nicht nur das Ziel vereinbart, die Erderhitzung auf deutlich unter 2 und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Es gibt auch einen Fahrplan. Und der sieht vor, dass alle fünf Jahre die nationalen Klimaschutz-Pläne aktualisiert werden - beginnend 2020. Und nicht 2019. Was das Pariser Abkommen wert ist, erfährt die Welt im nächsten November in Glasgow.
Worauf dann noch warten?
Darauf aber will die Klimaschutzbewegung nicht warten. Wenn die Zeit zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen so schnell davonrennt, wie Wissenschaftler sagen, worauf dann noch warten? Alden Meyer von der Union of Concerned Scientists - der Union besorgter Wissenschaftler - ist seit dem Start der Klimaverhandlungen 1991 dabei.
Einigermassen entgeistert sagt er in Madrid: «Ich habe noch nie so eine fast komplette Trennung gesehen zwischen dem, was Wissenschaft und die Menschen verlangen, und dem, was die Klimaverhandler an Sinnvollem liefern.»
Wie ein Leuchtturm strahlt in den Verhandlungen der «Green Deal» aus Brüssel. Die Hoffnungen der Klimaschützer liegen jetzt auf dem kommenden Jahr - darauf, dass die EU das Ziel, 2050 unterm Strich keine Treibhausgase mehr auszustossen, mit Leben füllt, dass sie bei ihrem 2030-Ziel ordentlich was drauflegt, dass sie andere grosse Staaten dabei mitnimmt. Greta Thunberg hat schon angekündigt, auf keinen Fall Ruhe zu geben.