Das britische Parlament hat die Brexit-Strategie von Premierminister Boris Johnson in einer spektakulären Sitzung vorerst durchkreuzt.
Johnson verlässt nach doppelter Niederlage das Parlament
Johnson verlässt nach doppelter Niederlage das Parlament - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Abgeordnete stimmen gegen «No Deal»-Brexit und verweigern vorgezogene Neuwahlen.
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Gegen seinen erklärten Willen verabschiedeten die Abgeordneten am Mittwochabend in London zunächst einen Gesetzentwurf, der einen Brexit ohne Abkommen mit der EU verhindern soll. Daraufhin stellte der Regierungschef vorgezogene Neuwahlen zur Abstimmung, scheiterte aber auch damit. In der Nacht zum Donnerstag begannen die Beratungen im Oberhaus über das Gesetz für den erneuten Brexit-Aufschub.

Der von den Abgeordneten angenommene Gesetzentwurf sieht eine Verschiebung des bisher für Ende Oktober geplanten EU-Austritts bis zum 31. Januar vor, falls es keine Einigung auf ein Abkommen mit Brüssel gibt. Bei der Abstimmung nach dritter Lesung votierten im Unterhaus in London 327 Abgeordnete für die Vorlage und damit gegen den erklärten Willen von Johnson. Nur 299 votierten dagegen.

Für den von Johnson als Reaktion auf die Niederlage vorgelegten Plan vorgezogener Neuwahlen stimmten lediglich 298 Abgeordnete, die oppositionelle Labour-Partei enthielt sich. Für vorgezogene Neuwahlen nötig gewesen wären 434 Stimmen.

Vor den Abstimmungen hatte Johnson über den Kurzbotschaftendienst Twitter noch Unterstützung von US-Präsident Donald Trump erhalten. «Er weiss, wie er gewinnt», schrieb Trump.

Als nächstes muss nun auch das Oberhaus den Entwurf für einen erneuten Brexit-Aufschub billigen. Die Beratungen begannen noch in der Nacht zum Donnerstag. Mitglieder des Oberhauses kamen mit Schlafsäcken zu einer der seltenen nächtlichen Sitzungen.

Es besteht immenser Zeitdruck: Bereits in der kommenden Woche beginnt eine von Johnson angeordnete Zwangspause für das Parlament bis Mitte Oktober.

Der Regierungschef will den Brexit mit aller Macht zum 31. Oktober - egal ob mit oder ohne Abkommen mit der EU. Er hat wegen des Streits am Dienstag sogar mehrere Abweichler seiner konservativen Tory-Fraktion aus der Partei werfen lassen.

Nach der Niederlage bei der No-Deal-Abstimmung griff er am Mittwochabend nun zum letzten Mittel. «Jetzt muss es eine Wahl am Dienstag, 15. Oktober, geben», forderte Johnson - und scheiterte bei der folgenden Abstimmung.

Für die Einberufung von vorgezogenen Neuwahlen ist nach britischem Recht eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erforderlich. Johnson hätte also auch die Unterstützung der oppositionellen Labour-Partei gebraucht. Diese hatte in den vergangenen Monaten zwar immer wieder Neuwahlen gefordert, bei der Abstimmung am Mittwochabend enthielten sich aber ihre Abgeordneten.

Zur Begründung gab die Opposition die Sorge an, dass Johnson im Falle eines «Ja» zu Neuwahlen diese eigenmächtig auf die Zeit nach dem 31. Oktober verschieben könnte - und so doch noch einen No-Deal-Brexit durchsetzen könnte.

Labour-Chef Jeremy Corbyn nannte Johnsons Vorgehen «zynisch». «Der Regierungschef tut so, als habe er eine Strategie. Aber er kann uns nicht sagen, welche.»

In Umfragen hat Johnson durch seinen Konfrontationskurs zuletzt massiv an Zustimmung gewonnen. Durch vorgezogene Neuwahlen könnte er sich womöglich eine neue Regierungsmehrheit im Parlament sichern, die er durch den Fraktionswechsel eines Abgeordneten und den Parteiausschluss der Tory-Rebellen verloren hat.

Am Mittwoch kündigte die Regierung zudem ein Ende der jahrelangen Sparpolitik im Königreich an, was weitere Pluspunkte beim Wähler bringen könnte. So solle es 20.000 neue Stellen bei der Polizei, sowie 6,2 Milliarden Pfund (6,85 Milliarden Euro) zusätzlich für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS geben, sagte Finanzminister Sajid Javid. Zugleich kündigte er zur Bewältigung der Brexit-Folgen zusätzliche Ausgaben von zwei Milliarden Pfund an.

Rückenwind bekam Johnson auch durch die britische Zentralbank. Diese erklärte, die Risiken eines No-Deal-Brexits wären inzwischen «weniger schlimm» als bisher gedacht, weil die Vorbereitungen verbessert worden seien. Auch die EU-Kommission verstärkte ihre Vorbereitungen. Für den No-Deal-Fall stellte sie 780 Millionen Euro an Finanzhilfen für die Mitgliedstaaten bereit.

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