EU-Kommissionsvize Jourova kritisiert Abkehr Ungarns von der Demokratie
EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova hat eine Abkehr Ungarns von der Demokratie kritisiert.
Das Wichtigste in Kürze
- Dennoch kein EU-Verfahren gegen Budapest wegen umstrittenem Corona-Notstand.
«Die internationale Gemeinschaft wird Druck ausüben müssen, damit Ungarn zurückkehrt zu dem Club der zweifelsohne demokratischen Länder», sagte die für Rechtsstaatlichkeit zuständige Kommissarin am Donnerstag im EU-Parlament in Brüssel. Die Kommission werde weiter mit Budapest reden, habe derzeit allerdings keine Handhabe gegen die umstrittenen ungarischen Massnahmen zum Corona-Notstand.
Das ungarische Parlament hatte die Regierung Ende März mit umfassenden Sondervollmachten zur Bewältigung der Corona-Krise ausgestattet. Ministerpräsident Viktor Orban kann seitdem zeitlich unbefristet per Dekret regieren. Kritiker werfen ihm vor, die Pandemie zum Ausbau seiner Machtposition zu missbrauchen. Auch die EU-Kommission hatte wiederholt Besorgnis geäussert.
Am kritischsten sei die fehlende zeitliche Begrenzung der Notstandsregelungen, unterstrich Jourova. Zudem seien Regeln bedenklich, welche die Verbreitung von Falschinformationen unter Strafe stellen. Dass dieser Straftatbestand nicht klar definiert sei und zugleich mit strengen Sanktionen einhergehe, wirke sich auf die Rechtssicherheit und die Meinungsfreiheit aus, sagte die Kommissionsvize.
In den vergangenen Tagen hatte es vermehrt Berichte über Festnahmen in Ungarn von Menschen unter dem Vorwurf der Verbreitung von Falschinformationen über das Coronavirus und den Umgang der Regierung mit der Pandemie gegeben. Die ungarische Polizei gab an, auf Grundlage des neuen Gesetzes in insgesamt 86 Fällen zu ermitteln.
Sie sei «sehr gut informiert» über diese Fälle und die Massnahmen der Regierung im Allgemeinen, sagte Jourova. «Wir bewerten täglich, ob wir rechtliche Schritte einleiten können.» Bisher sei dies nicht der Fall. Die Gesetze an sich seien problematisch, die Kommission könne aber lediglich deren konkrete Anwendung bewerten, fügte sie hinzu.
Der Rechtspopulist Orban steht seit Jahren wegen der Einschränkung von Bürgerrechten, der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Medien- und Meinungsfreiheit in der Kritik. Von einem Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU und mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs liess er sich bislang aber nicht beeindrucken.
Die Tschechin Jourova verwies auf die derzeit laufenden Verhandlungen zum nächsten mehrjährigen EU-Haushalt. Auf dem Tisch liegt dabei auch der Vorschlag, die Auszahlung von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen.
«Das ist der richtige Weg», sage Jourova. Diese angestrebten Regeln dürften nun nicht verwässert werden. Zuletzt gab es Bestrebungen, die Hürden für Mittelkürzungen sehr hoch zu legen.