Japans Regierungschef tritt aus gesundheitlichen Gründen überraschend zurück
Japans langjähriger Regierungschef Shinzo Abe tritt aus gesundheitlichen Gründen überraschend zurück.
Das Wichtigste in Kürze
- Abe bleibt trotz Erkrankung bis zur Klärung seiner Nachfolge im Amt.
«Ich habe entschieden, das Amt des Ministerpräsidenten aufzugeben», sagte Abe am Freitag bei einer Pressekonferenz in Tokio. Der 65-Jährige leidet nach eigenen Angaben wieder an einer entzündlichen Darmerkrankung, die ihn bereits während seiner ersten Amtszeit im Jahr 2007 zu einem Rücktritt veranlasst hatte.
Über die gesundheitliche Verfassung Abes war in Japan seit Wochen spekuliert worden. In jüngster Zeit hatte er sich zwei Mal zu längeren Untersuchungen ins Krankenhaus begeben.
Aufgrund einer intensiven Behandlung habe er nicht mehr genug Zeit für seine Aufgaben als Regierungschef, sagte Abe. «Ich möchte mich beim japanischen Volk von ganzem Herzen dafür entschuldigen, dass ich meinen Posten ein Jahr vor dem Ende meiner Amtszeit verlasse - inmitten der Corona-Sorgen und während sich verschiedene politische Entscheidungen noch im Umsetzungsprozess befinden», sagte Abe, der sich im Anschluss tief verneigte.
Abe kündigte an, im Amt zu bleiben, bis seine konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) über einen Nachfolger entschieden hat. Experten rechnen mit einer Übergabe der Regierungsgeschäfte im Oktober. Abe will sich nach eigenem Bekunden nicht in die Kür seines Nachfolgers einmischen.
Als Favoriten für Abes Nachfolge gelten Finanzminister Taro Aso und Kabinettschef Yoshihide Suga. Im Gespräch sind aber auch der LDP-Fraktionsvorsitzende Fumio Kishida - Berichten zufolge Abes Favorit - sowie Verteidigungsminister Taro Kono und dessen Vorgänger Shigeru Ishiba.
Finanzminister und Vize-Regierungschef Aso, ein enger Verbündeter Abes, war von 2008 bis 2009 bereits Ministerpräsident. Der 79-Jährige hat immer wieder mit verbalen Entgleisungen auf sich aufmerksam gemacht wie der Äusserung, dass Japan bei einer Verfassungsreform von Nazi-Deutschland lernen könne.
Kabinettschef Suga ist den Japanern vor allem als Regierungssprecher bekannt. Noch am Freitagmorgen hatte er versichert, Abe gehe es gut. Einen Tag zuvor hatte Suga der Nachrichtenagentur Bloomberg gesagt, Abe könne «selbstverständlich» bis zum Ende der Legislaturperiode im September 2021 im Amt bleiben.
Abe ist der am längsten amtierende Regierungschef in der Geschichte Japans. Zum ersten Mal wurde er 2007 ins Amt gewählt, trat jedoch weniger als ein Jahr später wegen seiner Darmerkrankung zurück. Als er 2012 erneut zum Regierungschef gewählt wurde, gab er an, die Krankheit überwunden zu haben.
In der Corona-Pandemie ist Abe in den Umfragen abgestürzt. Zwar verzeichnet Japan im internationalen Vergleich relativ wenige Infektionsfälle. Der Regierung werden aber Versäumnisse bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Krise vorgeworfen.
In seiner Rücktrittsankündigung sagte Abe, seine Regierungsführung müssten andere bewerten. Der Regierungschef nannte als einen politischen Erfolg, auf den er persönlich stolz sei, dass Barack Obama 2016 als erster US-Präsident die Gedenkstätte für die Opfer des Atombombenabwurfs in Hiroshima besuchte.
Das Bekanntwerden von Abes Rücktrittsabsichten sorgte an der Tokioter Börse für Unruhe. Der Aktienindex Nikkei gab bis zum Nachmittag um mehr als 1,4 Prozent nach. Der Politikwissenschaftler Shinichi Nishikawa warnte, Abes überraschender Schritt inmitten der Corona-Pandemie könne ein «politisches Durcheinander» verursachen.
International wurde Abes aussenpolitische Rolle gewürdigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wünschte Abe eine schnelle Genesung und erklärte, er sei «immer ein konstruktiver und verlässlicher Partner in unserem gemeinsamen Engagement für Multilateralismus, Freihandel, friedliche Streitbeilegung und regelbasierte Ordnung» gewesen.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen dankte Abe via Twitter für seinen Beitrag zur «Erweiterung der Beziehungen zwischen der EU und Japan». Der Kreml erklärte, Abes Einsatz für die russisch-japanischen Beziehungen sei von «unschätzbarem Wert» gewesen. Ein chinesischer Aussenamtssprecher nannte Abes Rücktritt lediglich eine «innere Angelegenheit» Japans.