Zehntausende Oppositionsanhänger demonstrieren erneut in Minsk gegen Lukaschenko
Trotz massiver Drohgebärden von Staatschef Alexander Lukaschenko haben am Sonntag erneut etwa 100.000 Menschen in Belarus gegen den autoritär regierenden Präsidenten demonstriert.
Das Wichtigste in Kürze
- Staatschef von Belarus zeigt sich mit Kalaschnikow und droht Demonstranten.
Anhänger der Opposition kamen in der Hauptstadt Minsk zu dem Massenprotest gegen Lukaschenko und die umstrittene Präsidentschaftswahl von vor zwei Wochen zusammen. Lukaschenko, der sich mit einer Kalaschnikow in der Hand in Minsk zeigte, hatte zuvor vor «illegalen Demonstrationen» warnen lassen und die Armee in Alarmzustand versetzt. Als Zeichen der Solidarität mit der Opposition bildeten Zehntausende Menschen in den baltischen Ländern Menschenketten.
Viele der Demonstranten im Zentrum von Minsk schwenkten die rot-weisse Fahne der Opposition. Immer wieder forderten sie AFP-Korrespondenten zufolge in Sprechchören «Freiheit», den Rücktritt des seit 26 Jahren mit harter Hand regierenden Staatschefs und Neuwahlen.
Die Zahl der Demonstranten war AFP-Korrespondenten zufolge etwa genauso hoch wie bei den Massenprotesten vor einer Woche und lag damit bei rund 100.000 Menschen. Die Demonstration am Nachmittag verlief friedlich, am Abend ging der Protest ohne grössere Zwischenfälle zu Ende.
Zuvor hatten die Behörden alle Staatsbürger vor der Teilnahme an «illegalen Demonstrationen» gewarnt. In Online-Medien wurden Videos veröffentlicht, die Polizisten in Kampfmontur und mit Wasserkanonen zeigten. Lukaschenko zeigte sich in einem von der Präsidentschaft veröffentlichten Video mit schusssicherer Weste und Kalaschnikow in der Hand, wie er mit einem Hubschrauber vor seiner Residenz in Minsk landete.
Zuvor hatte er mit seinem 15-jährigen Sohn im Hubschrauber die Demo überflogen. «Sie sind wie die Ratten geflohen», sagte er in einem weiteren Video während des Flugs. In den Tagen zuvor hatte er die Regierung angewiesen, «Unruhen» zu verhindern. Er versicherte auch, das «Problem» der Demos bald zu «lösen». Die Sicherheitskräfte waren nach dem Beginn der Proteste brutal gegen Demonstranten vorgegangen, Tausende wurden festgenommen.
Parallel zu den Protesten in Minsk kamen am Sonntag Zehntausende in den baltischen Nachbarländern Litauen und Lettland zu Menschenketten zusammen. Von der litauischen Hauptstadt Vilnius bis zur belarussischen Grenze formierte sich eine 30 Kilometer lange Menschenkette, an der auch der litauische Präsident Gitanas Nauseda teilnahm. Die Organisatoren gingen von fast 50.000 Teilnehmern aus.
In Lettland bildeten Hunderte eine Menschenkette im Grenzdorf Piedruja. Weitere Menschenketten waren auch in der estnischen Hauptstadt Tallinn und in Prag geplant. Die Aktionen erinnerten an eine 600 Kilometer lange Menschenkette, mit der über eine Million Menschen am 23. August 1989 in den baltischen Staaten für ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion demonstriert hatten.
In Litauen hält sich auch die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja auf, die ihre Landsleute aufforderte, «jetzt vereint weiterzumachen im Kampf für das Recht». In einem AFP-Interview sagte die 37-Jährige: «Wir werden nicht zurückweichen.»
Der umstrittene Staatschef hatte am Samstag eine Militärbasis in Grodno im Westen des Landes nahe der Grenze zu Polen besucht. Dabei erneuerte er seinen Vorwurf, dass die Proteste «von aussen» gesteuert seien. Nato-Truppen in Polen und Litauen seien entlang der Grenze zu Belarus «ernsthaft in Bewegung», sagte Lukaschenko. Er habe deshalb die Armee seines Landes in Alarmzustand versetzt.
Die Nato wies diese Angaben als «haltlos» zurück. Nato-Sprecherin Oana Lungescu erklärte am Samstagabend in Brüssel, eine «militärische Verstärkung in der Region» finde nicht statt. Auch Polen und Litauen dementierten Lukaschenkos Angaben.
In Belarus gibt es seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl vor zwei Wochen Massenproteste gegen Lukaschenko. Dem offiziellen Wahlergebnis zufolge wurde er bei der Abstimmung mit rund 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Die Opposition wirft Lukaschenko massiven Wahlbetrug vor. Auch die EU erkennt das Wahlergebnis nicht an. Ihr Aussenbeauftragter Josep Borrell plädierte für Verhandlungen mit Lukaschenko, um eine «zweite Ukraine» zu vermeiden. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bot sich erneut als Vermittler an.