Prozess gegen erste inhaftierte deutsche IS-Heimkehrerin begonnen
Vor dem Oberlandesgericht München hat am Dienstag der deutschlandweit erste Prozess gegen eine IS-Rückkehrerin wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung begonnen.
Das Wichtigste in Kürze
- Jennifer W. soll fünfjähriges Mädchen verdursten lassen haben.
Die 27 Jahre alte Jennifer W. soll im Irak ein von ihr und ihrem Mann als Sklavin gekauftes fünfjähriges Mädchen qualvoll verdursten lassen haben, weshalb sie auch wegen Mordes und Kriegsverbrechen angeklagt ist. W. soll für die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) als Sittenpolizistin patrouilliert haben.
Der Fall hat auch eine internationale Dimension: Es soll sich um die weltweit erste Anklage wegen Straftaten von IS-Mitgliedern gegen Jesiden handeln, wie die Organisation Yazda, eine Interessensvertretung der religiösen Minderheit der Jesiden, mitteilte. Das fünfjährige Mädchen war Jesidin.
Wie Oberstaatsanwältin Claudia Gorf als Vertreterin der Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage sagte, verliess W. Deutschland 2014, um sich im Irak dem IS anzuschliessen. In den Städten Mossul und Falludscha habe sie mindestens drei Monate lang in Parks patroulliert und Frauen ermahnt, die sich nach den Bekleidungsvorschriften des IS falsch gekleidet hätten. «Aufgrund des bewaffneten Auftretens der Angeschuldigten wurden die Frauen eingeschüchtert und kamen den Anweisungen nach», sagte Gorf. Demnach trug W. eine Kalaschnikow, eine Pistole und eine Sprengstoffweste.
Im Sommer 2015 soll sie dann mit ihrem Mann auf einem Sklavenmarkt das in Kriegsgefangenschaft genommene fünfjährige Mädchen gekauft haben. Als das erkrankte Kind auf eine Matratze urinierte, habe der Mann es zur Strafe angekettet. Bei 45 Grad Celsius sei das Kind mangels Flüssigkeit qualvoll verdurstet, die Angeklagte habe nichts dagegen unternommen und sich damit des Mordes durch Unterlassen schuldig gemacht.
Der Vorsitzende Richter unterbrach den Prozess bereits nach der Verlesung der Anklage bis zum 29. April. Zur Begründung sagte er, dass die Bundesanwaltschaft neue Unterlagen eingereicht habe, die nun geprüft werden sollten. Nach Angaben der Anklagebehörde geht es dabei um zusätzliches belastendes Material. Erst nach Erhebung der Anklage konnte sicher bewiesen werden, dass das Kind Jesidin war. Ausserdem sei erst danach die Mutter des Kinds ermittelt und vernommen worden.
Wie W.s Verteidiger Ali Aydin am Rande des Prozesses sagte, steht eine Ausweitung der Vorwürfe auf Vorwürfe des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, Freiheitsberaubung und Folter im Raum. Aydin bestritt am Rande des Verfahrens die Vorwürfe. «Es gibt keine Beweise, dass sie je bei der Sittenpolizei war.» Dass W. sich in abgehörten Gesprächen selbst so bezeichnete, könne auch eine Übertreibung gewesen sein.
Zum Tod des Kinds sagte der Verteidiger, auch wenn sich beweisen liesse, dass der Sachverhalt so wie angeklagt gewesen sei, sei zweifelhaft, ob sie die Tat hätte verhindern können. Seine Mandantin habe sich in einem anderen Land, einer anderen Kultur befunden. «Wir können nicht sagen, Frauen haben da nichts zu melden - und im nächsten Absatz sagen wir, sie hätte es verhindern müssen.»
W. war 2016 aus der Türkei nach Deutschland abgeschoben worden, sie konnte aber erst im vergangenen Juni vor einer geplanten Rückreise in IS-Gebiet in Bayern festgenommen werden. Sie ist die erste IS-Rückkehrerin, gegen die ein wirksamer Haftbefehl erlassen werden konnte.
In einer zum Prozessauftakt von Yazda veröffentlichten Erklärung bewertete Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad, selbst Überlebende von Versklavung und Folter durch IS-Mitglieder, den Prozess «als wichtiges Verfahren für alle jesidischen Überlebenden.» Jeder Überlebende, mit dem sie gesprochen habe, warte darauf, dass die Täter für ihre Taten gegen die Jesiden, insbesondere gegen Frauen und Kinder, verfolgt und vor Gericht gestellt würden. «Deshalb ist dies ein grosser Moment für mich und die gesamte jesidische Gemeinschaft», erklärte Murad.