Schweizer Entwicklungshilfe zu stark auf Migration ausgerichtet
Die Schweizer Entwicklungshilfe sollte sich an den Bedürfnissen der Partnerländer orientieren und nicht primär am Zweck, Migration zu verhindern. Das fordert der OECD-Entwicklungshilfeausschuss (DAC).
Das Wichtigste in Kürze
- Alle fünf Jahre unterziehen sich die Mitglieder des DAC einer Peer Review, in welcher die Entwicklungszusammenarbeit überprüft wird.
Die Resultate der jüngsten Prüfung der Schweiz sind am Freitag veröffentlicht worden.
Interessant sind sie vor allem mit Blick auf die Pläne von Aussenminister Ignazio Cassis, die Schweizer Entwicklungshilfe neu auszurichten. Ende November hatte der Bundesrat die Eckwerte für die Jahre 2021 bis 2024 festgelegt, derzeit werden die Details ausgearbeitet. Der DAC hoffe, dass seine Empfehlungen einfliessen würden, sagte die Vorsitzende Susanna Moorehead vor den Medien in Bern.
Für sinnvoll hält der DAC, dass der Bundesrat eine geografische Konzentration anstrebt. Die Schweiz soll künftig in der bilateralen Hilfe noch in Regionen in Afrika, im Nahen Osten, in Asien und in Osteuropa tätig sein. Aus Lateinamerika und Ostasien würde sie sich schrittweise zurückziehen.
Heute engagiert sich die Schweiz in 54 Schwerpunktländern. In fast der Hälfte ist sie aber nicht unter den zehn wichtigsten Geberländern. Das könne die Sichtbarkeit und Effizienz des Schweizer Engagements beeinträchtigen, hält der DAC fest. Künftig will die Schweiz noch in 34 Schwerpunktländern tätig sein, wie Manuel Sager, Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), sagte.
Bei der Auswahl der Länder und Programme will der Bundesrat neben Armutsreduktion und menschlicher Sicherheit vermehrt die Interessen der Schweizer Wirtschaft sowie Schweizer Interessen im Zusammenhang mit Migration und Sicherheit berücksichtigen. Diese Ausrichtung beurteilt der DAC kritisch: Er empfiehlt der Schweiz dafür zu sorgen, dass ihre Entwicklungsprogramme auf die Ziele Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung ausgerichtet bleiben.
Entwicklungshilfe sollte aus seiner Sicht nicht in den Dienst der Bekämpfung irregulärer Migration gestellt werden. Der DAC beobachtet in der Schweiz aber einen wachsenden Druck in diese Richtung. So werde darüber diskutiert, die Hilfe an Bedingungen wie die Rückübernahme abgewiesener Asylsuchender zu knüpfen. Gehe das auf Kosten der nachhaltigen Entwicklung, könnte es zu einem Reputationsrisiko für die neutrale Schweiz werden und ihren Einfluss auf globaler Ebene schmälern, warnt der DAC.
Moorehead gab zu bedenken, dass ein solcher Ansatz ohnehin nicht funktioniere, wie sämtliche Studien zeigten. Der DAC empfiehlt der Schweiz daher ein neues «Narrativ» zur Entwicklungshilfe und deren Beitrag zu geteiltem Wohlstand. Die Behörden sollen die Bevölkerung also mit anderen Argumenten überzeugen.
Sager betonte, es sei nicht geplant, die Entwicklungshilfe vom Migrationsmanagement eines Landes abhängig zu machen. Und es wäre falsch, kurzfristige Effekte auf die Migration zu erwarten. Dennoch trage die Entwicklungshilfe dazu bei, Migrationsursachen zu bekämpfen. Der Widerspruch zwischen Solidarität und Eigeninteresse sei konstruiert, in der Praxis lasse er sich auflösen.
Der DAC fordert die Schweiz auch dazu auf, ihr Versprechen von 2011 zu erfüllen und mindestens 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungshilfe zu investieren. In den Jahren 2014 bis 2016 wurde das Ziel erreicht. 2017 sankt die Quote jedoch auf 0,46 und 2015 auf 0,45 Prozent.
Ein Grund dafür ist die sinkende Zahl der Asylgesuche: Ein Teil der Asylausgaben kann an die Entwicklungshilfe-Quote angerechnet werden. 2016 machten die Asylkosten beinahe 20 Prozent aus, doppelt so viel wie im Durchschnitt der DAC-Länder.
Eine weitere Empfehlung betrifft die Kohärenz in der Politik: Die Schweiz soll den Einfluss innenpolitischer Entscheide auf Entwicklungsländer analysieren und breit diskutieren - beispielsweise die Auswirkungen von Unternehmenstätigkeiten oder von Landwirtschaftssubventionen.
Ferner sollte die Schweiz aus Sicht des DAC die Gleichstellung von Mann und Frau in der Entwicklungszusammenarbeit stärker gewichten. Im Vergleich zu anderen Ländern unterhält sie nur wenige Projekte, die auf Gender-Fragen und strukturellen Wandel ausgerichtet sind.
Insgesamt stellt der DAC der Schweiz aber gute Note aus. Diese kombiniere technische und politische Expertise und sei ein verlässlicher Partner in der Entwicklungszusammenarbeit, schreibt er. Die Schweiz habe eine starke humanitäre Tradition und spiele eine wichtige Rolle in der Förderung humanitärer Grundsätze.
Deza-Chef Manuel Sager und Raymund Furrer vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zeigten sich erfreut über die guten Noten. Mit den Analysen sind sie grösstenteils einverstanden, die Empfehlungen sollen umgesetzt werden.