Skurrile Kandidaten und wichtige Entscheidungen
Die diesjährigen «Midterms» in den USA stehen im Zeichen grosser Wählerunzufriedenheit: Viele skurrile Kandidierende haben intakte Chancen auf einen Wahlsieg.
Das Wichtigste in Kürze
- Heute finden in den USA Wahlen statt: Viele Experten rechnen mit einer «roten Welle».
- Einige der wegweisenden Wahlkämpfe zeichnen sich durch skurrile Kandidierende aus.
- Auf beiden Seiten stehen problematische und umstrittene Kandidaten auf dem Wahlzettel.
Zum ersten Mal seit 2020 werden in den USA heute nationale Wahlen abgehalten: Die «Midterms» finden jeweils nach Ablauf der halben Amtszeit des Präsidenten statt und sind mit den eidgenössischen Parlamentswahlen zu vergleichen. Der Wahlausgang ist insbesondere für die weiteren Erfolgsaussichten des amtierenden Präsidenten wegweisend.
Für Präsident Joe Biden und seine Partei stehen die Vorzeichen ungünstig: Die Meinungsforscher von «FiveThirtyEight» haben rund 40'000 Wahlgänge am Computer simuliert und sind zu deutlichen Ergebnissen gekommen. In 59 von 100 Fällen würden die Republikaner die Senatsmehrheit erobern. Im Repräsentantenhaus würden die Republikaner sogar in 84 von 100 Fällen die Mehrheitsverhältnisse zu ihren Gunsten kippen.
«Key Races» um Senatssitze und Gouverneursposten
Die diesjährigen «Midterms» sind also vornehmlich mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im Senat interessant: Der Wahlausgang entscheidet darüber, ob Joe Biden die zweite Hälfte seiner Amtszeit als «lahme Ente» antreten wird. Der Begriff beschreibt eine Regierung, die ohne Mehrheitsunterstützung aus den Parlamentskammern auskommen muss – was meistens zu politischem Stillstand führt.
Aus diesem Blickwinkel ist primär eine Handvoll entscheidender Wahlkämpfe von gesonderter Bedeutung. Viele dieser «key races» zeichnen sich auch dadurch aus, dass die Kandidatenauswahl aus Schweizer Perspektive äusserst dürftig daherkommt.
John Fetterman (D) oder Mehmet Oz (R)
Eines dieser «Schlüssel-Rennen» findet um die Senatswahl im Gliedstaat Pennsylvania statt. Die Entscheidung zwischen John Fetterman und Mehmet Oz ist eines der schillerndsten Duelle auf dem diesjährigen Wahlzettel.
Mehmet Oz – ein ehemaliger Fernsehmoderator und Herzchirurg – gilt als politischer Aussenseiter: Der 62-jährige Republikaner ist der erste muslimische Senatskandidat in der Geschichte des Landes. Er wird von seinem Kontrahenten regelmässig für seine fehlende Verbindung zum Bundesstaat Pennsylvania angeprangert. Denn seinen Lebensmittelpunkt hat er im Nachbarstaat New Jersey.
«Doctor Oz» kann primär davon profitieren, dass sein Gegenspieler, John Fetterman, dem linken Flügel seiner Partei zugerechnet wird. Überdies erlitt Fetterman im Mai 2022 einen lebensbedrohlichen Schlaganfall, von welchem er sich augenscheinlich noch nicht erholt hat. Er ist allein schon physisch eine spezielle Erscheinung: Über zwei Meter gross, mit Zahlen tätowierte Unterarme und konsequent mit Kapuzenpulli auftretend.
Raphael Warnock (D) oder Herschel Walker (R)
Ein weiteres «key race» findet im politisch hart umkämpften Bundesstaat Georgia statt: Die Entscheidung zwischen Herschel Walker und Raphael Warnock wird vielerorts als wichtigste Wahl im Kampf um die Senatsmehrheit bezeichnet.
Neusten Umfragen zufolge ist im Wahlkampf zwischen dem ehemaligen Football-Profi Walker und dem ehemaligen Pfarrer Warnock alles möglich: Trotz seiner ambivalenten Haltung zur Abtreibungsfrage profitiert Walker von einer Art Heiligenstatus, welchen er in Georgia seit seiner Football-Karriere geniesst.
Mark Kelly (D) oder Blake Masters (R)
Schliesslich ist an dieser Stelle auch das Rennen um den Senatssitz in Arizona zu erwähnen: Dieser Wahlkampf ist mit Ausgaben von rund 116 Millionen US-Dollar einer der teuersten Wahlkämpfe des Jahres.
In letzter Minute konnte sich der politische Neuling Blake Masters als republikanischer Kandidat behaupten. Der amtierende Senator, Ex-Astronaut Mark Kelly von den Demokraten, hat Umfragen zufolge derzeit die Nase vorn. Die meisten Experten rechnen jedoch mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen.
Dies ist primär auf die tatkräftige Unterstützung durch Donald Trump und die achtstellige Unterstützung durch Milliardär Peter Thiel zurückzuführen. Blake Masters hat insbesondere mit kontroversen Aussagen zur Abwahl von Donald Trump viel Aufsehen erregt: Mittlerweile hat sich der 36-Jährige allerdings von der «grossen Lüge» über die «gestohlene Präsidentschaftswahl» von 2020 distanziert.
Stacey Abrams (D) oder Brian Kemp (R)
Als weitere «key races» im Kampf um die Vormachtstellung in den USA sind hier auch einige Gouverneurswahlen von gesonderter Bedeutung: Im hart umkämpften Bundesstaat Georgia bewirbt sich die Demokratin Stacey Abrams erneut um den Gouverneursposten.
Abrams trat bereits 2018 ohne Erfolg zur Gouverneurswahl an. Eine Niederlage, die sie noch immer nicht anerkannt hat: Sie wirft ihrem Kontrahenten Brian Kemp bis heute Wählerunterdrückung vor.
Brian Kemp kann seinerseits auch auf Stimmen jenseits der Parteilinien zählen: Er gilt als grosser Widersacher Donald Trumps. Gleichzeitig hat er sich mit seiner Abwehrhaltung gegen die landesweiten Corona-Massnahmen nicht nur Freunde gemacht. Trotzdem profitiert der 59-Jährige von den Vorteilen seiner Amtszeit und einer starken Wirtschaft im Gliedstaat Georgia.
Katie Hobbs (D) oder Kari Lake (R)
Das Rennen um den Gouverneursposten in Arizona zwischen Katie Hobbs und Kari Lake gilt als eines der folgenreichsten Rennen. Die ehemalige Fernsehmoderatorin Kari Lake sorgte in der Vergangenheit wiederholt mit problematischen Aussagen zur Demokratie und ihrer Trump-Treue für Schlagzeilen.
Kari Lake ist im Verlauf des Wahlkampfes ausserdem mit Figuren aus dem Dunstkreis der QAnon-Bewegung aufgetreten. Darüber hinaus vertritt sie bis heute die Ansicht, die Demokraten hätten die Präsidentschaftswahl von 2020 gestohlen.
Mit der Nominierung von Lake stellen die Republikaner in Arizona den angeblichen Wahlbetrug 2020 in den Mittelpunkt des Wahlkampfes. Kari Lake geht gar so weit, den Ausgang der Wahl nur dann akzeptieren zu wollen, wenn sie gewinnen sollte. Ihr Sieg wäre ein wichtiger Impuls für die Präsidentschaftsabsichten Donald Trumps.
Josh Shapiro (D) oder Doug Mastriano (R)
Schliesslich sorgt auch das Rennen um den Gouverneursposten in Pennsylvania für reichlich Schlagzeilen. Der Rechtsaussen-Politiker Doug Mastriano hatte die Vorwahlen im Mai nur gewinnen können, weil die Demokraten seine Kampagne finanziell unterstützten.
Die Demokraten vertraten damals die Meinung, dass Mastriano selbst in einem Republikaner-freundlichen Bundesstaat wie Pennsylvania kaum eine Chance haben würde. Der 58-Jährige wird mit zahlreichen Verschwörungstheorien in Verbindung gebracht und war persönlich am «Sturm aufs Kapitol» beteiligt.
Allerdings könnte die Strategie nach hinten losgehen: Angesichts der landesweiten Unzufriedenheit mit den Demokraten lechzt die Wählerschaft in Pennsylvania vor allem nach Veränderung. Trotz der offensichtlichen Mängel errechnen Experten dem Republikaner intakte Chancen auf einen Überraschungssieg.