Bürgerliche zu Tempo 30 in Zürich: «Wie auf dem Pferd!»
Tempo 30 auf den Strassen Zürichs: Die Jungfreisinnigen fühlen sich 100 Jahre zurückversetzt, für die Grünen ist dieser Schritt längst überfällig.
Das Wichtigste in Kürze
- Dank Tempo 30 liesse sich die Lärmbelastung und die Unfallquote reduzieren, so die Linke.
- Durch die Drosselung werde der öffentliche Verkehr ausgebremst, befürchten Bürgerliche.
Die Stadt Zürich soll zu einer grossen Tempo 30-Zone werden. Damit will der Stadtrat die Einwohner vor übermässigem Strassenlärm schützen. Die etappenweise Umsetzung wird bis mindestens 2030 dauern.
Bettina Fahrni: Tempo 30 entspricht der Geschwindigkeit eines Pferds
Bettina Fahrni fühlt sich durch die Drosselung in das letzte Jahrhundert zurückversetzt: «Die Tempolimite auf 30 km/h zu senken entspricht für mich der Fortbewegungsgeschwindigkeit eines Pferdes oder Velos», schreibt sie auf Anfrage. Es werde jedenfalls nicht einer modernen Stadt gerecht.
Die Temporeduktion werde vor allem an Knotenstellen wie Autobahnabfahrten und stark befahrenen Hauptstrassen zu Problemen führen. Durch die entstehenden Staus würden die Autofahrer auf die Quartierstrassen ausweichen, «was der Bevölkerung sicherlich noch weniger passen wird.»
«Ebenfalls sind Strassen kritisch, wo die Trams und Busse ein hohes Tempo fahren. Tempolimit 30 verzögert den Pendlerverkehr und macht ÖV-Fahren unattraktiver.»
SVP-Gemeinderat Stephan Iten fürchtet Zweiklassengesellschaft
Auch SVP-Gemeinderat Stephan Iten glaubt, das neue Temporegime werde den ÖV ausbremsen. Er geht aber davon aus, dass der linksgrüne Stadtrat bei der Umsetzung scheitern wird. «Die Kapazitäten im Verkehr müssen erhalten werden. Da wird der Kanton ziemlich sicher einschreiten.»
Die Lärmklagen sieht er pragmatisch: «Wir sind eine wirtschaftlich erfolgreiche Stadt, weil wir gut erschlossen sind. Jeder der hierherzieht, weiss, dass es Verkehrslärm hat.»
Das Lärmproblem löse sich schon dadurch, dass die Autos immer leiser würde, auch durch den Aufwind der elektrischen Fahrzeuge. «Nehmen wir dann dereinst die Temporeduktion zurück? Ich glaube eher nicht», so Iten.
Iten sieht auch ein soziales Problem: «Man beginnt eine Zweiklassengesellschaft zu schaffen: Wer Auto fährt ist böse, wer ÖV fährt ist gut. Oder gar Dreiklassengesellschaft, mit den Velofahrern, die einfach alles dürfen.»
Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter ärgert sich über die VBZ
Dass Tempo 30 den öffentlichen Verkehr ausbremse, daran glaubt Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter nicht. Die Präsidentin des Fachverbands «Fussverkehr Schweiz» beruft sich auf eine Studie von Avenir Suisse. Demnach beträgt die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit eines ÖV-Pendlers in Zürich rund 12 km/h.
Deshalb ärgere sie sich darüber, dass die Verkehrsbetriebe Zürich Seite an Seite mit der Auto-Lobby gegen Tempo 30 kämpfe.
Und dass die @vbz_zueri_linie Seite an Seite mit der Auto-Lobby gegen @Tempo30 kämpft, ärgert mich! Was den #ÖV ausbremst, ist sicher nicht Tempo 30, sondern die überlastete Infrastruktur. #Love30 pic.twitter.com/h3Aps4bVhw
— Marionna Schlatter (@marionnasch) July 15, 2021
Die Stadt Zürich gehe mit diesem Entscheid nicht voran, sondern hole lediglich zu anderen Städten wie Paris auf, schreibt sie auf Anfrage. «Die Stadt ist im Zugzwang. Die links-grüne Wählerschaft erwartet mehr Tempo für sicherere Geschwindigkeiten auf der Strasse.»
Die Temporeduktion habe keinen nennenswerten Einfluss auf den Verkehrsfluss. Als Lärmschutzmassnahme sei sie allerdings extrem wirksam. Die Drosselung entspreche einer «gehörten» Abnahme des Verkehrs um 50 Prozent.
Und man dürfe bei der ganzen Diskussion nicht vergessen: «Tempo 30 rettet Leben. Rund die Hälfte aller schweren Unfälle passieren innerorts, betroffen ist hauptsächlich der in der Stadt wichtige Langsamverkehr. Laut einer Studie der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) liesse sich die Zahl der schweren Unfälle mit Tempo 30 innerorts halbieren.»