«Mehr Stau»: Viel Kritik an neuen Velowegen in Genf
In Genf herrscht Krieg zwischen Velofahrern und Automobilisten. Die Stadt sperrte Autospuren und gab sie für die Velos frei. Vor Ort sind die Meinungen geteilt.
Das Wichtigste in Kürze
- In Genf haben die Velofahrer Aufwind.
- Im Schlepptau der Corona-Regeln hat der Staatsrat neue Velospuren geschaffen.
- Die Autofahrer sind wütend, sie stehen nun noch länger in Staus.
2000 Velofahrer demonstrierten am letzten Montag für neue Velowege in Genf. Trotz Corona-Regeln griff die Polizei nicht ein.
Das ist kein Zufall: Die Velofahrer haben derzeit in Genf Aufwind. Nicht zuletzt wegen der Corona-Lage. Im Zentrum steht jetzt eine Politik der «sanften Mobilität».
Das heisst konkret: Es gibt auch in der Innenstadt zahlreiche neue Velospuren. Gleichzeitig sind Parkplätze für Autos aufgehoben worden und es werden mehr 30-er Zonen errichtet.
Was das bedeutet, zeigt sich derzeit etwa am Quai du Mont- Blanc. Die Strasse am rechten Seequai ist eine der Hauptverkehrsachsen in der Rhônestadt.
«Aotofahrer stehen nun noch länger im Stau»
Hier stehen die Autos morgens und abends im Megastau. Für Autofahrer gibt es nur noch eine Spur, die zweite ist jetzt ein Veloweg.
Monica da Costa (27) arbeitet als Kellnerin in einem Restaurant direkt am Quai. Sie hat selber ein Velo und ein Auto.
«Meine Meinung über die neuen Massnahmen ist gespalten. Für die Velos ist es jetzt natürlich besser, doch für Autofahrer bedeutet das noch länger als sonst im Stau stehen.»
Dominique Petite (73) freut sich. Der Rentner wohnt in einem Vorort von Genf und ist passionierter Velofahrer. «Autos in einer Stadt gehören der Vergangenheit an. Man muss das Konzept der sanften Mobiltät noch viel weiter ausbauen..»
Etwa mit Parkhäusern am Stadtrand. «Die Autofahrer könnten dann von dort aus mit dem ÖV in die Stadt kommen.»
Genf sei ein sehr gefährliches Pflaster für Velofahrer. «Die Wege sind zu eng, weil es jetzt auch mehr E-Velo-Fahrer und E-Trottinetts hat», sagt der Rentner.
Die neuen Velowege sind jetzt so breit wie die Autospuren. Das ärgert Maria (60): «Diese Velowege sind viel zu breit. Wenn dann alle aus dem Homeoffice zurück sind, wird es mit den Staus noch viel schlimmer.»
Genferin klagt: «Staus bedeuten Stress für Eltern»
Sie sorgt sich vor allem um Eltern, die ihre Kinder jeweils am Morgen in die Krippe oder die Schule bringen und diese dann am Abend wieder abholen müssen. «Die Staus bedeuten jetzt noch mehr Stress für solche Eltern. Man kann keinen Zeitplan mehr einhalten.»
Es störe sie, «dass in der demokratischen Schweiz so etwas einfach von der Regierung im Alleingang beschlossen werden kann.»
Maria wohnt im Quartier zwischen dem Bahnhof und dem Quai du Mont-Blanc. «Es macht mich wütend, dass in Genf jetzt nur die Velofahrer zählen.»
Sergio Primavera (50) führt ein Café am Seequai. «Mich stört die neue Politik nicht. Ich komme sowieso mit dem ÖV zur Arbeit. In 17 Minuten bin ich hier. Mit dem Auto hätte ich jetzt über eine Stunde.»
Man müsse sich halt überlegen, wo man wohnen wolle. «Ein schönes Haus auf dem Land ist auch nicht alles.»
Primavera hat allerdings Kollegen, die von der neuen Verkehrspolitik gar nicht begeistert sind. «Sie brauchen ihr Auto für ihren Job. Jetzt stehen sie die meiste Zeit im Stau. Ihren Zeitplan können sie nicht mehr einhalten.»
Sanitär: «Brauche einen Nachmittag für 7 Kilometer!»
Davon kann Luis de Almeida (52) ein Lied singen. «Es ist mehr als mühsam. Die neue Verkehrspolitik ist ein Witz. Ganze Autospuren sind jetzt für Velofahrer reserviert, obwohl es gar nicht so viele davon in Genf gibt.»
Almeida arbeitet für eine Sänitärinstallationsfirma. «Wir müssen oft ins Geschäft zurückfahren, um ein Ersatzteil zu holen. Gestern brauchte ich für sieben Kilometer den ganzen Nachmittag.»
Auch Taxifahrer Antonio Bonito (57) kritisiert das neue Verkehrsregime. «Wir verlieren jetzt noch mehr Kunden. Wegen der Warterei kostet jetzt eine Taxifahrt in Genf mindestens das Doppelte.» Die Kunden hätten dafür kein Verständnis. «Sie steigen jetzt auf den ÖV um.»
Nur Positives sieht hingegen Kenzy Chaïb (18). Der Schüler liefert derzeit für ein Restaurant Essen aus. Er kurvt deshalb in der ganzen Stadt auf seinem Velo herum.
Velokurier: «Bin jetzt schneller und sicherer»
«Die neuen Velowege sind super. Ich bin jetzt viel schneller unterwegs. Ich fühle mich auch viel sicherer, weil die Velospuren jetzt nicht mehr so eng sind.» Die neue Vekehrspolitik sei auch gut für die Umwelt.
Die neuen Massnahmen beschloss der Genfer Staatsrat Ende April. Sie sind provisorisch für 60 Tage, können aber verlängert werden. Während die Velofahrer darauf hoffen, graut den Autofahrern davor.