Zeichen gegen Sexualisierung: Voss turnt in langen Hosen
Elegant statt aufreizend: Sarah Voss turnt bei der EM in Basel im Ganzkörperanzug - und ist stolz darauf. Den deutschen Turnerinnen geht es um ein persönliches Wohlgefühl und einen Kulturwandel.
Das Wichtigste in Kürze
- Sarah Voss hat alle Blicke auf sich gezogen.
Zum Auftakt der Turn-EM in Basel präsentierte sich die 21-Jährige am Mittwoch im eleganten schwarzen Ganzkörperanzug und setzte ein Signal.
Deutschlands Turnerinnen sagen der Sexualisierung in ihrer Sportart den Kampf an. «Als Teil der deutschen Turn-Nationalmannschaft sind wir für viele jüngere Sportlerinnen auch ein Vorbild und möchten ihnen damit eine Möglichkeit aufzeigen, wie sie sich auch in einer anderen Bekleidungsform ästhetisch präsentieren können, ohne sich bei bestimmten Elementen unwohl zu fühlen», sagte die WM-Siebte am Balken.
Am Freitag im Finale des Mehrkampfs wollen dann auch die Stuttgarterinnen Elisabeth Seitz und Kim Bui mit den selbstdesignten und handgeschneiderten langen Gymnastikanzügen aufs Podium gehen. Jüngst hatte Elisabeth Seitz kritisiert, dass immer wieder Fotos von ihr mit anzüglichen Motiven veröffentlicht werden. «Sie wollen da noch mal das I-Tüpfelchen draufsetzen und dort ihre Anzüge präsentieren», kündigte Sarah Voss an.
Seitz mit 52,832 Punkten als 14. und Bui mit 52,791 Punkten als 15. zogen souverän ins Finale der 24 besten Vierkämpferinnen ein. EM-Neuling Emma Malewski (49,266) aus Chemnitz verfehlte es hingegen. Zudem qualifizierten sich Elisabeth Seitz als Dritte mit 14,233 Punkten am Stufenbarren und Kim Bui mit 13,333 Punkten am Boden jeweils für das Einzel-Finale. Sarah Voss scheiterte knapp am Einzug in den Endkampf im Sprung. Sie war nur am Schwebebalken und im Sprung angetreten.
Ihre Wettkampferfahrung im langen Outfit war positiv. «Ich bin stolz, dass ich heute den Anzug tragen darf. Ich fühle mich super wohl, das ist super bequem. Ich finde, es sieht cool aus», sagte die deutsche Mehrkampfmeisterin. Üblich sind knappe, badeanzug-ähnliche Anzüge, die von Aussenstehenden als aufreizend angesehen werden können, bei manchen Turnerinnen aber das Schamgefühl verletzen. «Man bewegt sich sehr viel und fühlt sich nicht immer 100 Prozent wohl», sagte Voss.
Schon beim Einturnen habe sie «ein paar Blicke bekommen». Nun wünschen sie und ihre Teamkolleginnen sich, dass auch andere Sportlerinnen ihrem Beispiel folgen. «Wir haben erst mal den Anstoss gegeben. Wir freuen uns, wenn andere die Innovation aufgreifen und wir einen Trend gesetzt haben», sagte Sarah Voss.
Die Idee dazu war bereits im vergangenen Sommer entstanden. «Unser Kulturwandel hat schon vor einiger Zeit eingesetzt», berichtete Cheftrainerin Ulla Koch. Anlass sei gewesen, dass eine Sportlerin zu ihr gekommen sei und gesagt habe, dass sie sich mit dem normalen Anzug nackt fühle. Darauf müsse eine Trainerin reagieren. «Unsere Mädels sollen sich wohlfühlen», sagte sie.
Sie habe erst einmal eine Turnerin bei einer Grossveranstaltung in lang gesehen. «Viele wissen gar nicht, dass wir lang turnen dürfen.» Mit ihren langen Anzügen haben die deutschen Turnerinnen nun Anleihen beim Outfit in der Rhythmischen Sportgymnastik genommen.
Seitz hatte erst kürzlich in einem Beitrag des SWR beklagt, dass im Frauenturnen immer wieder die Grenze zwischen Ästhetik und Sexualisierung überschritten wird. «Die Leute müssen verstehen, dass schönes Turnen nicht bedeutet, dass man das besonders geil findet oder das Männer sehr anzüglich finden», sagte die Olympia-Vierte von 2016 in Rio de Janeiro am Stufenbarren.
Sie finde immer mal wieder Fotos von sich im Internet, «die mir auch überhaupt nicht gefallen, eben weil mir in den Schritt fotografiert wurde». Es sei schwierig, diese Bilder entfernen zu lassen. Entdeckt sie bei Zeitungen solche Fotos, sage sie etwas. «Turnen ist viel zu schön, um genau so ein Bild nehmen zu müssen», sagte die 27-Jährige.