Fussball WM: Psychologe erklärt die Diagnose Fussballfieber
Anspannung, Enttäuschung, Trauer, Wut – der Fussball-Fan erlebt all diese Gefühle. Dennoch bleibt er seinem Fan-Sein treu. Warum? Der Psychologe hat Antworten.
Das Wichtigste in Kürze
- Fan zu sein bringt Zugehörigkeit und Bestätigung, so der Psychotherapeut Serge Brand.
- Zudem sind die Gefühle sonst kaum so intensiv, sagt der Bestseller-Autor Nick Hornby.
«Plötzlich, unerklärlich und unkritisch»
Die Fussball-WM steht vor der Tür. Die Public-Viewing-Leinwände sind bereit. Mit Emotionen muss gerechnet werden. Doch woher kommen sie überhaupt, diese ganz grossen Fan-Gefühle?
Nau hat der Psychologie des Fan-Seins nachgespürt.
«Ich verliebte mich in den Fussball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden», schreibt Nick Hornby, Fussballfanatiker und Bestsellerautor.
Schmerz und Zerrissenheit, sie treffen jeden Fussballfan. So sicher, wie der Anpfiff vor dem Match. Am besten weiss das Serge Brand, Psychotherapeut, FCB-Fan und Spezialist auf dem Gebiet «Sport und psychische Gesundheit» an der Universität Basel. «Der Verlauf und der Ausgang des Spiels kann in Fans die ganze Palette von ungünstigen Gefühlen auslösen: Trauer, Niedergeschlagenheit, Enttäuschung, Frustration, Wut, Unverständnis», erklärt Brand.
Zugehörigkeit und Bestätigung
Enttäuschung, Frustration, Wut – warum tut man sich etwas an, das mit einer Garantie auf Unglück geliefert wird? «Fan einer bestimmten Mannschaft zu sein, scheint Grundbedürfnisse zu befriedigen», erklärt Brand. «Namentlich jene nach Zugehörigkeit, Identität, psychischer Stabilität, Orientierung und Kompetenz.»
Der Fan hat in seiner Gemeinschaft aber nicht nur einen sicheren Hafen, er findet auch schnell Anschluss: «Das Muster hat sich seither mehrmals wiederholt: Am schnellsten und einfachsten habe ich mich in der Schule und im Studium mit Fussballfans angefreundet. Wer in der Mittagspause am ersten Tag im neuen Job die Fussballresultate in der Zeitung studiert, provoziert automatisch eine Reaktion.» Das notiert Autor Hornby in seinem Bestseller «Fever Pitch».
Die Kompetenz übrigens ist neben dem Gemeinschaftsgefühl ein wichtiger Faktor des Fan-Universums: Im Verlaufe einer Fan-Karriere eignet man sich konkretes Wissen an. Wie das Offside funktioniert und welcher Spieler 2017 zur höchsten Transfersumme den Club gewechselt hat. «Das Expertenwissen ist eine wichtige Bestätigung», sagt Brand.
Tradition und Pädagogik
Oftmals wachsen Fan-Traditionen wie Gesänge, Marschrouten – und auch die Erzfeinde – über Jahrzehnte. Brand führt den FC Basel als Beispiel an: «Er ist mittlerweile ein Symbol und eine Metapher für die Zugehörigkeit zu einer Stadt, einer Region, einer Volksgemeinschaft und eines Lebensstils geworden.»
In einer Welt, die immer schneller zu drehen scheint, tut die Zugehörigkeit zu einem Club, den es seit vielen Jahrzehnten gibt, wohl. Die Spieler mögen wechseln, die Sponsoren und Trainer ebenso. Doch der Fan, der bleibt.
Fan sein und von Match zu Match marschieren erfüllt einen also mit positiven Emotionen. Aber mehr noch: Fan sein trägt gar zum besseren Miteinander der ganzen Gesellschaft bei. Brand erklärt: «Spielen beizuwohnen und mitzufiebern bedeutet auch, dass ich lerne, mit Glück, Pech, Ungerechtigkeiten («… das war doch ganz klar ein Hands im 16er!»), Eifer, Einsatz, und Willen umzugehen.»
«Seien Sie tolerant»
Wer noch immer kein Verständnis für die Fussballfans hat, der nehme sich einen weiteren Abschnitt aus «Fever Pitch», Nick Hornbys Ode an das Fantum, zu Herzen:
«Seien Sie tolerant gegenüber jenen, die einen Sport-Moment als den besten ihres Lebens bezeichnen. Wir haben weder einen Mangel an Fantasie, noch haben wir traurige und öde Leben. Es ist bloss – das echte Leben ist so viel bleicher, fader und beinhaltet weniger Potenzial für unerwartetes Delirium.»