Europapolitik

Der Bundesrat schickt den Text zum institutionellen Abkommen in die Konsultation.

Archiv (Symbolbild) - Der Bundesrat

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 7. Dezember 2018 das derzeitige Verhandlungsergebnis zum institutionellen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union zur Kenntnis genommen. Er nimmt überdies zur Kenntnis, dass die EU die Verhandlungen für abgeschlossen betrachtet. Der Bundesrat erachtet das derzeitige Verhandlungsergebnis in weiten Teilen als im Interesse der Schweiz und im Einklang mit dem Verhandlungsmandat. Insbesondere aufgrund der offenen Punkte in Bezug auf die flankierenden Massnahmen (FLAM) und der Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) verzichtet der Bundesrat aber vorerst auf eine Paraphierung des institutionellen Abkommens. Er wird eine Konsultation zum Abkommensentwurf durchführen. Zweck dieser Konsultation ist, vor allem in den noch offenen Punkten eine konsolidierte Haltung zu erreichen um allenfalls mit der EU erneut das Gespräch zu suchen. Der Bundesrat wird sich im Frühling 2019 mit dem Stand dieser Konsultation befassen.

Mit dem Abschluss eines institutionellen Abkommens will der Bundesrat den bilateralen Weg und namentlich den Zugang zum Binnenmarkt konsolidieren, um ihn langfristig zu sichern. Zudem soll dessen Weiterentwicklung durch den Abschluss neuer Abkommen über den EU-Binnenmarktzugang, zum Beispiel im Strombereich, erreicht werden.

Der Bundesrat erachtet das derzeitige Verhandlungsergebnis in weiten Teilen als im Interesse der Schweiz und im Einklang mit dem Verhandlungsmandat. Insbesondere aufgrund der offenen Punkte in Bezug auf die FLAM, die mit der EU bisher nicht verhandelt wurden, und der UBRL, bei der mit der EU keine Einigung gefunden wurde, verzichtet der Bundesrat aber vorerst auf eine Paraphierung des Abkommens. Das Abkommen würde mehr Rechtssicherheit durch die Gewährleistung gleicher Bedingungen in den Bereichen des Binnenmarkts, an denen die Schweiz teilnimmt, erlauben, sowie mehr Planungssicherheit für Schweizer Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger, die in diesem Markt aktiv sind. Dafür sind im institutionellen Abkommen vier Mechanismen vorgesehen: einheitliche Rechtsauslegung, Rechtsentwicklung, Überwachung der Anwendung der Abkommen und Streitbeilegung.

Geltungsbereich 

Unter das institutionelle Abkommen fallen einzig die fünf bereits bestehenden Marktzugangsabkommen (Personenfreizügigkeit, Landverkehr, Luftverkehr, Abkommen über den Abbau der technischen Handelshemmnisse/MRA und Landwirtschaft) sowie alle zukünftigen Marktzugangsabkommen (z. B. das derzeit in Verhandlung befindliche Stromabkommen). Das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen und das Freihandelsabkommen von 1972 unterstehen nicht dem institutionellen Abkommen. Die Parteien haben in einer gemeinsamen rechtlich nicht verbindlichen Erklärung vereinbart, Verhandlungen über die Modernisierung dieser beiden Abkommen aufzunehmen.

Dynamische, aber nicht automatische Rechtsübernahme

Der im Textentwurf vorgesehene Grundsatz der dynamischen Rechtsübernahme ermöglicht es, die Abkommen regelmässig an relevante Entwicklungen des EU-Rechts anzupassen und auf diese Weise Rechtsabweichungen zu vermeiden, die zu Handelshindernissen führen könnten. Ziel ist es, langfristig den Zugang von Schweizer Unternehmen zum europäischen Markt sicherzustellen. Die Schweiz entscheidet eigenständig über jede Übernahme einer EU-Rechtsentwicklung in ein Marktzugangsabkommen entsprechend den verfassungsmässigen Entscheidverfahren inklusive die Möglichkeit eines Referendums. Eine automatische Übernahme des EU-Rechts ist ausgeschlossen. Die Schweiz wird zudem bei der Erarbeitung der relevanten EU-Rechtsentwicklungen im Bereich der Abkommen, die unter das institutionelle Abkommen fallen, systematisch miteinbezogen (decision shaping). Auf diese Weise kann sie ihre Anliegen frühzeitig einbringen.

Der Textentwurf sieht ausserdem gewisse Ausnahmen vom Prinzip der dynamischen Übernahme der EU-Rechtsentwicklungen vor. Diese betreffen zum Beispiel das Nacht- und Sonntagsfahrverbot für Lastwagen, das Verbot von internationalen Schlachttiertransporten auf der Strasse oder die Nicht-Exportierbarkeit gewisser Sozialversicherungsleistungen.

Überwachung und Streitbeilegung

Im Textentwurf ist keine neue supranationale Institution vorgesehen. Jede Partei überwacht die Anwendung der Abkommen in ihrem Hoheitsgebiet. Der Text sieht zudem einen Streitschlichtungsmechanismus vor, der auf einem paritätischen Schiedsgericht beruht. Das Schiedsgericht ruft den Gerichtshof der Europäischen Union an, wenn die Streitigkeit eine Frage der Auslegung des EU-Rechts betrifft. Das Schiedsgericht legt den Streit gestützt auf dessen Auslegung bei. Setzt eine der Parteien den Entscheid des Schiedsgerichts nicht um, kann die andere Partei Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Auf Anfrage der von den Ausgleichsmassnahmen betroffenen Partei prüft ein Schiedsgericht die Verhältnismässigkeit der Massnahmen und verlangt gegebenenfalls die Aufhebung unverhältnismässiger Massnahmen.

Staatliche Beihilfen

Neben den institutionellen Mechanismen enthält das institutionelle Abkommen andere Elemente, um die Gewährleistung gleicher Bedingung für alle Teilnehmer am EU- Binnenmarkt zu wahren (level playing field). So sieht der Textentwurf einen allgemeinen nicht direkt anwendbaren und in sich nicht justiziablen Rahmen für staatliche Beihilfen vor, der in zukünftigen Marktzugangsabkommen (z. B. Stromabkommen) übernommen wird und falls nötig durch direkt anwendbare und verbindliche Bestimmungen ergänzt werden kann. Im Bereich der Überwachung soll jede Vertragspartei die staatlichen Beihilfen in ihrem Hoheitsgebiet in äquivalenter, aber eigenständiger Weise überwachen. Im institutionellen Abkommen werden dafür bestimmte Modalitäten festgelegt, wie zum Beispiel ein Meldeverfahren für staatliche Beihilfen. In der Schweiz erfolgt die Überwachung der staatlichen Beihilfen aufgrund verfassungsmässiger Grundsätze.

Flankierende Massnahmen

Im Bereich der Personenfreizügigkeit anerkennt die EU die Besonderheiten des schweizerischen Arbeitsmarkts, die spezifische Massnahmen zur Gewährleistung des Lohnschutzniveaus in der Schweiz verlangen. So sind im bestehenden Text des Abkommens drei wichtige flankierende Massnahmen vorgesehen, die über das EU-Recht hinausgehen: eine Voranmeldefrist von vier Arbeitstagen in Branchen mit hohem Risiko, eine verhältnismässige Kautionspflicht für Dienstleistungserbringer, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen, und eine risikobasierte Dokumentationspflicht für Selbstständige. Diese Massnahmen entsprechen nicht den vom Bundesrat erhofften Ergebnissen.

Unionsbürgerrichtlinie und Verordnung 883/2004

Das ausgehandelte Abkommen erwähnt in keiner Weise die Übernahme der Richtlinie 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Das bedeutet, dass bei Differenzen mit der EU in Bezug auf deren allfällige Übernahme durch die Schweiz der vorgesehene Streitbeilegungsmechanismus zur Anwendung kommt. Der Bundesrat hätte die Ausnahme bezüglich der Übernahme der Richtlinie gern explizit erwähnt, während sich die EU gewünscht hätte, dass sich die Schweiz im Abkommen dazu verpflichtet, die Richtlinie zu übernehmen.

In Bezug auf die Revision der Verordnung 883/2004 zur Koordination der Sozialversicherungen stellt der Bundesrat fest, dass die Revision innerhalb der EU noch nicht verabschiedet ist und folglich im Abkommen nicht erwähnt werden soll.

Kündigungsklausel

Eine Kündigung des institutionellen Abkommens wird keine direkte Kündigung der bestehenden Abkommen nach sich ziehen. Vorgesehen ist ein dreimonatiger Konsultationsprozess, in dem die Parteien eine Lösung für die Fortsetzung dieser Abkommen finden müssen. Wenn sich die Parteien innerhalb von drei Monaten nach Eröffnung der Konsultation nicht auf eine Lösung einigen sollten, würden die Abkommen nach Ablauf einer Kündigungsfrist von weiteren sechs Monaten ebenfalls ausser Kraft gesetzt.

Konsultationen

Im Bereich der flankierenden Massnahmen liegt ein Vorschlag der EU vor, der vom Verhandlungsmandat des Bundesrates abweicht. Auch bei der Unionsbürgerrichtlinie konnte keine Einigung erzielt werden. Der Bundesrat wird nun Konsultationen zum Abkommensentwurf durchführen. Zweck dieser Konsultation ist, vor allem in den noch offenen Punkten eine konsolidierte Haltung zu erreichen, um allenfalls mit der EU erneut das Gespräch zu suchen. Zu diesem Zweck wird das Abkommen übersetzt und in den Amtssprachen veröffentlicht. Das EDA, in Zusammenarbeit mit dem Bundespräsidenten und dem WBF, wird den Bundesrat im Frühjahr 2019 über den Stand dieser Konsultationen informieren.

Äquivalenz der Börse (MiFIR 23)

Der Bundesrat hält heute einmal mehr an seiner Position fest, wonach die Schweiz alle Bedingungen erfüllt, um von der EU die Anerkennung der Äquivalenz der Schweizer Börsenregulierung gemäss MiFIR 23 zu erhalten. Er erwartet daher von der EU einen raschen Entscheid in diese Richtung.