«Ausnahme-Ostern» in der Corona-Krise
Der Gesundheitsminister stimmt die Bürger auf ein «Ausnahme-Ostern» ein. Während die Regierung zur Disziplin mahnt, drängen andere zu raschen Lockerungen von Einschränkungen. Wegen der Corona-Krise steigt Deutschlands Schuldenquote auf 75 Prozent.
Das Wichtigste in Kürze
- Während die Bundesregierung zum Durchhalten aufruft, gewinnt die Debatte über mögliche Lockerungen von Anti-Corona-Massnahmen nach den Osterferien weiter an Fahrt.
«In einer gemeinsamen Kraftanstrengung muss es gelingen, die Wirtschaft so schnell wie möglich nach Ostern schrittweise wieder hochzufahren», heisst es in einem Schreiben des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und die Mitglieder des Bundestags. Unionsfraktionsvize Georg Nüsslein forderte ein rasches Öffnen von Einzelhandelsläden.
«Mit klaren Verhaltensregeln und Schutzmassnahmen könnten aus meiner Sicht beispielsweise Geschäfte wieder aufmachen. Dabei muss insbesondere der Sicherheitsabstand gewährleistet sein», sagte der CSU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Menschen hätten in den vergangenen Wochen «ein grösstenteils verantwortungsvolles und diszipliniertes Verhalten bewiesen, was nicht zuletzt die geordneten Schlangen vor Postfilialen oder beim Bäcker zeigen». «Ab dem 19. April brauchen Arbeitnehmer wie Unternehmer eine neue Perspektive.»
Der Mittelstand warnte für den Fall dauerhafter massiver Einschränkungen vor grossen Wohlstandsverlusten. Das Schreiben des Verbands liegt der dpa vor. Darin heisst es, es bestehe die akute Gefahr, dass die «Nebenwirkungen der Medizin» mehr Schaden anrichteten als die Krankheit. «Allein die Vorlage einer Exit-Strategie ist geeignet, der Wirtschaft und den Beschäftigten wieder Zuversicht zu vermitteln.»
Kanzlerin Merkel hatte am Donnerstag gesagt, die Zahlen zur Ausbreitung des Virus gäben «Anlass zu vorsichtiger Hoffnung». Beim Lockern der strengen Regeln für Menschen und Wirtschaft müsse man aber in kleinen Schritten vorgehen und die Folgen beobachten. Nach Ostern wollen Bund und Länder über die Beschränkungen beraten. «Wir dürfen jetzt nicht leichtsinnig sein, wir dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen», mahnte die Kanzlerin.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stimmte die Bürger auf «Ausnahme-Ostern» ein und warb dafür, die Kontaktbeschränkungen einzuhalten. «Ostern ist ein wichtiges christliches Fest, es ist für viele ein Familienfest, ein Fest wo man Urlaub macht oder auch Freunde trifft. Und das wird dieses Mal jedenfalls in gewohnter Weise nicht gehen», sagte der CDU-Politiker am Donnerstagabend in der Sendung «ARD extra». Er wünsche sich, dass die Menschen Kontakt zueinander suchen - «aber eben telefonisch, digital, auf anderen Wegen als sonst». Er hatte das Osterwochenende zuvor als «Weggabelung» bezeichnet: «Bleiben wir auch übers Wochenende konsequent, wird die schrittweise Rückkehr zur Normalität wahrscheinlicher.»
Bei Spahns ARD-Auftritt wurden Kriterien deutlich, die eine Rolle spielen dürften bei der Entscheidung, in welchen Bereichen es zuerst Lockerungen geben könnte. Als eine Frage nannte er: «Was ist leichter für uns als Gesellschaft verzichtbar, was ist weniger gut verzichtbar?» Auf das Arbeiten könne man «weniger gut verzichten als auf die Party, auf den Club, auf das Fussballspiel». Als zweite Kategorie sieht Spahn die Frage: «Wo ist das Risiko grösser oder geringer, sich oder auch andere zu infizieren?» Wenn es gelinge, im Arbeits- oder Geschäftsleben das Miteinander so zu gestalten, «dass Abstandsregeln, Hygieneregeln eingehalten werden können, dann können bestimmte Branchen eben auch schneller beginnen als in den Bereichen, wo das nicht möglich ist».
FDP-Chef Christian Lindner kritisierte den Kommunikationsstil der Bundesregierung in der Corona-Krise. «Bisweilen habe ich den Eindruck, die Regierung spricht zu ihrem Souverän - den Bürgerinnen und Bürgern - wie zu Kindern, die man im Unklaren darüber lässt, wie es denn jetzt weitergeht», sagte Lindner in «Bild live». Merkel sei «wieder in den Modus der Alternativlosigkeit zurückgefallen». Der FDP-Vorsitzende forderte eine «smartere Strategie»: «Wir glauben inzwischen, dass der Gesundheitsschutz, der uns heilig ist, mit milderen Mitteln möglich ist als die, die Frau Merkel noch für notwendig erachtet.» Er nannte das Tragen von Schutzmasken, Desinfektionsstationen an öffentlichen Orten sowie stärkeres Testen. Zudem forderte er, sich stärker auf den direkten Schutz besonders gefährdeter Menschen zu konzentrieren.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) warnte dagegen in einem «Spiegel»-Interview: «Eine zu frühe Lockerung wäre verheerend, dann wäre alles, was wir in den letzten Wochen durchgehalten haben, für die Katz.» Er fürchtet, dass sich dann eine zweite Infektionswelle aufbauen könnte, «die im Zweifel noch grösser als die jetzige wird».
Wegen der milliardenschweren Hilfspakete in der Corona-Krise steigt Deutschlands Staatsverschuldung deutlich an. Das Finanzministerium rechnet damit, dass die Schuldenquote - also das Verhältnis der Schulden zur gesamten Wirtschaftsleistung - Ende des Jahres bei 75,25 Prozent liegen wird. Das geht nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus dem Stabilitätsprogramm 2020 hervor, das die Bundesregierung Ende April der EU-Kommission vorlegen wird. Einen Wert in genau dieser Grössenordnung hatte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zu Wochenbeginn bereits vorhergesagt. Der Bericht soll voraussichtlich am 22. April im Kabinett beschlossen werden.
In den europäischen Verträgen von Maastricht ist eigentlich eine Schuldenquote von 60 Prozent als Höchstwert vereinbart. Deutschland hatte die Stabilitätskriterien zuletzt erstmals seit 2002 wieder eingehalten, die Quote war auf 59,8 Prozent gesunken.