Genschere Crispr: Entscheidung steht an
Gentechnik-Gemüse will in Deutschland fast niemand essen. Im Handel ist es deshalb nicht zu kriegen. Ob das so bleibt, ist fraglich.
Das Wichtigste in Kürze
- Wie geht es mit dem markt an Gentech-Gemüse weiter?
- Bald könnten die Produkte inkognito im Regal landen.
Kaum jemand in Deutschland möchte gentechnisch veränderte Lebensmittel auf dem Teller haben. Dort liegen könnten sie künftig trotzdem. Ohne dass es der Verbraucher merkt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) will dazu am 25. Juli eine weitreichende Entscheidung treffen.
Bisher gibt es solches Obst, Gemüse oder Fleisch im Supermarkt nicht zu kaufen. Es rentiert sich für den Handel schlicht nicht. Verbraucher können die Produkte an einer speziellen Kennzeichnung erkennen – und lassen die Finger davon.
Doch bald könnten bestimmte genetisch manipulierte Produkte quasi inkognito ihren Weg in die Regale finden. Denn vor dem EuGH geht es um die Frage, ob neue gentechnische Methoden wie bestimmte Anwendungen der Genschere Crispr unter die strengen Auflagen des europäischen Gentechnikrechts fallen. Dabei werden gezielte Änderungen im Erbgut erreicht, ohne dass fremde DNA eingefügt wird.
Methoden wie Crispr gelten als besonders günstig und effizient. Umstritten ist, ob beispielsweise auf diese Weise veränderte Pflanzen rechtlich gesehen Gewächsen aus herkömmlicher Züchtung gleichzusetzen sind. Und ob solche Pflanzen von weitreichenden Ausnahmen von den GVO-Regeln profitieren. In diese Richtung geht der Schlussantrag des Generalanwalts Michal Bobek. Er ist zudem der Ansicht, dass die Mitgliedsstaaten eigene, strengere Regeln für diese Verfahren aufstellen können sollten. Seine Empfehlungen sind für die Richter nicht bindend, in der Mehrzahl der Fälle folgen sie ihnen aber.
Verbraucherschützer sind vor dem EuGH-Urteil alarmiert. GVOs müssen vor der Zulassung auf ihre Sicherheit geprüft werden und im Handel gekennzeichnet sein. Je nach Entscheidung des Gerichts fallen künftig bestimmte gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht unter die GVO-Regularien. «Das ist nicht im Sinne des Vorsorgeprinzips. Deshalb plädieren wir ganz stark dafür, dass diese Produkte als Gentechnik eingestuft werden», sagt Isabelle Mühleisen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
Mühleisen geht davon aus, dass von der Kennzeichnungspflicht befreite Produkte den Weg in den Handel finden. «Das wird dann ein riesiger Feldversuch.» Für den Schutz von Umwelt und Gesundheit stehe viel auf dem Spiel, schreiben 21 Verbände, darunter Umweltschützer, in einer gemeinsamen Mitteilung. «Bei der Gentechnik geht es um Lebewesen, die sich vermehren, genetisch austauschen und sich auch unkontrolliert ausbreiten können.»
Lebensmittel, für die die GVO-Regularien gelten, findet man in deutschen Supermärkten bislang nicht. Die überwiegende Mehrheit der Verbraucher lehne sie ab, heisst es beim Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels als Begründung. Tatsächlich gibt es in der deutschen Bevölkerung grosse Vorbehalte: Rund zwei Drittel halten es laut dem Naturbewusstseins-Bericht 2017 des Bundesumweltministeriums eher für problematisch, gentechnisch veränderte Lebensmittel zu essen.
Ausnahmen bei der Kennzeichnungspflicht gibt es schon jetzt. So müssen Lebensmittel von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, nicht gekennzeichnet werden. Dazu gehören Milchprodukte, Fleisch oder auch Eier. Wer hier Gentechnik ausschliessen will, sollte laut Verbraucherschützerin Mühleisen auf das «Ohne Gentechnik»-Siegel achten.
Noch gibt es in der EU keine Produkte, die von dem EuGH-Urteil betroffen wären, wie Ricardo Gent, Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie, erklärt. Aber viele Unternehmen warteten gespannt auf die Entscheidung und stünden in den Startlöchern. In den USA gebe es beispielsweise eine Kartoffel, deren Lagerfähigkeit verbessert wurde.
Die Industrie wie auch der Deutsche Bauernverband setzen darauf, dass die neuen gentechnischen Methoden künftig nicht unter GVO-Regularien fallen. «In Deutschland und Europa müssen wir moderne Züchtungsverfahren nutzen können, sonst haben wir im internationalen Wettbewerb wenig Chancen», sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. Er erhofft sich beispielsweise Pflanzen, die gegen Krankheitserreger oder Hitze resistenter sind.
Und was passiert, wenn künftig doch eine Kennzeichnungspflicht bei solchen Methoden gilt? Ist das ihr Ende in der Pflanzenzucht? «Dann hängt es von der Kommunikation ab», sagt Industrielobbyist Gent. Verbrauchern müsste deutlich gemacht werden, dass solche Lebensmittel auch Vorteile für sie haben können, beispielsweise durch weniger Allergene oder glutenfreie Produkte. Sollte das Gericht im Sinne von Bauernverband und Industrie entscheiden, erwartet Gent modifizierte Lebensmittel mittelfristig «auf breiterer Front im Supermarkt».