Debatte über «Querdenken»: Fall für den Verfassungsschutz?
Der Widerstand gegen die Corona-Auflagen treibt nach wie vor viele Menschen auf die Strasse. Politiker beobachten bei den Protesten der Initiative «Querdenken» auch extremistische Teilnehmer - und sehen den Verfassungsschutz in der Pflicht.
Das Wichtigste in Kürze
- Angesichts anhaltender Proteste der «Querdenken»-Bewegung unter Beteiligung auch von Rechtsextremisten werden Rufe nach dem Verfassungsschutz lauter.
Unterdessen waren Anhänger der «Querdenken»-Initiative auch am Sonntag im Düsseldorfer Rheinpark unterwegs, um gegen die Corona-Beschränkungen zu demonstrieren. In ihrem Aufruf im Vorfeld war von einer «Masken-Lüge» die Rede. Die Veranstalter hatten 1000 Teilnehmer angemeldet. Ein dpa-Reporter schätzte die Zahl auf etwa 800. Die Polizei sprach am Sonntagabend von einigen Hundert Teilnehmern.
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir beobachten ganz klar extremistische und antisemitische Tendenzen. Deswegen muss auch der Verfassungsschutz sehr genau hinsehen.» Der Chef der Innenministerkonferenz, Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD), schätzte in der «Neuen Osnabrücker Zeitung»: «Aus meiner Sicht erscheint plausibel, dass ein Drittel der Teilnehmer bei solchen Demonstrationen zur rechtsextremen Szene gehört.»
Anhänger von «Querdenken» und Ableger der Bewegung demonstrierten in den vergangenen Monaten in vielen Städten gegen die staatlich auferlegten Beschränkungen in der Corona-Krise. Die Mischung der Teilnehmer ist vielfältig: Sie reicht von eher bürgerlichen Demonstranten, Esoterikern, Friedensbewegten bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen. Eine nicht repräsentative Befragung von «Querdenkern», über die die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» berichtet hatte, ergab, dass auch Wähler der Grünen und Linken darunter sind, dass aber die Sympathie für die AfD unter den Beteiligten wächst.
Die Innenministerkonferenz will sich am Donnerstag mit dem Thema befassen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte eine schnelle Beobachtung der Bewegung gefordert. Politiker in anderen Bundesländern rechnen damit, dass es bald eine Entscheidung über einen sogenannten Prüffall geben könnte. Das wäre dann die Vorstufe eines Verdachtsfalls, bei dem der Verfassungsschutz auch geheimdienstliche Mittel einsetzen kann.
Maier sagte: «Es ist offensichtlich, dass es persönliche Kontakte der Protagonisten zu Rechtsextremisten gibt. Das ist ein Hinweis auf Verfassungsfeindlichkeit, reicht aber noch nicht aus.» Wenn genug Beweise vorlägen, dass «Querdenken» eine verfassungsfeindliche Organisation sei, «dann sollte "Querdenken" vom Verfassungsschutz beobachtet werden», so Maier. «Hier geht es aber nicht um Schnelligkeit, sondern um Qualität. Denn natürlich können sich Organisationen dagegen auch zur Wehr setzen, und es ist immer schlecht, wenn man vor Gericht eine Niederlage kassiert.»
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: «Bei Gruppen, die sich verfassungsfeindlich äussern oder einen Angriff auf die Demokratie planen, muss sich der Verfassungsschutz einschalten.» Das heisse nicht, dass alle, die bei solchen Demonstrationen mitliefen, als Verfassungsfeinde angesehen würden.
Der «Querdenken»-Initiator Ballweg hatte hingegen der dpa gesagt: «Die Bewegung wird falsch dargestellt. Wir sind eine friedliche Bewegung und keine politische Partei.» Extremismus, Gewalt, Antisemitismus und menschenverachtendes Gedankengut hätten ebenso wenig Platz bei den «Querdenkern» wie die Symbole dieser Denkweisen.
Ursprünglich war für Samstag auch eine Demonstration in Bremen geplant, zu der die Veranstalter bis zu 20.000 Menschen erwartet hatten. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte aber das Verbot. Die Bremer Polizei setzte es mit einem massiven Aufgebot durch und zeigte auch mit Wasserwerfern Präsenz. Nach ihren Angaben kamen trotz des Verbots einige Demonstranten aus der «Querdenken»-Bewegung, einschliesslich Gegendemonstranten mehrere Hundert. Es wurden 900 Platzverweise erteilt und 700 Ordnungswidrigkeiten sowie 70 Straftaten angezeigt.