Jeremy Corbyn ist ein gefährlicher Kontrahent in London
Folgt Jeremy Corbyn auf Theresa May? Für den 69-Jährigen ist der Brexit eine Zerreissprobe, die ihm gleichzeitig aber auch Chancen einbringt.
Das Wichtigste in Kürze
- Jeremy Corbyn kann sich durchaus Chancen für das Amt als Premierminister machen.
- Der 69-Jährige gilt als gefährlicher Kontrahent für Theresa May.
Auch wenn Jeremy Corbyn vor einiger Zeit noch als krasser Aussenseiter galt – in seinen langen Jahren in der Politik hat der Labour-Chef schon mehrfach gezeigt, dass er für Überraschungen gut ist. Sollte es nach der entscheidenden Brexit-Abstimmung am Dienstag im Unterhaus zu Neuwahlen in Grossbritannien kommen, kann sich der 69-Jährige durchaus Chancen auf das Amt des Regierungschefs ausrechnen.
Schon 2017 war Corbyn der eigentliche Sieger der vorgezogenen Parlamentswahl. Er jagte der bis dahin mit absoluter Mehrheit regierenden Premierministerin Theresa May viele Stimmen ab und konnte für Labour 29 Sitze im Unterhaus hinzugewinnen.
Dabei war ihm bereits mit seiner Wahl zum Labour-Vorsitzenden 2015 ein Coup gelungen. Bei der Urwahl hatte er knapp 60 Prozent der Stimmen erzielt – zum Entsetzen des noch von der Zeit unter Tony Blair geprägten Parteiestablishments, das den früheren Gewerkschaftsfunktionär nicht auf dem Zettel hatte.
Antisemitismus und zu wenig Engagement
Bei aller Euphorie an der Basis für Corbyn – nach dem Brexit-Votum 2016 rumorte es in der Labour-Fraktion gewaltig: Viele Abgeordnete warfen Corbyn vor, sich nicht entschieden genug für einen Verbleib Grossbritanniens in der Europäischen Union eingesetzt zu haben. Ausserdem wird ihm Antisemitismus vorgeworfen.
Mehr als 80 Prozent der Fraktionsmitglieder entzogen ihm das Vertrauen, doch Corbyn lehnte einen Rücktritt ab. Dass seine Beliebtheit an der Basis ungebrochen war, zeigte die zweite Urwahl im September 2016 – knapp 62 Prozent der Parteimitglieder stimmten für ihn.
Corbyn will kein zweites Referendum
Die meisten Labour-Abgeordneten sind proeuropäisch eingestellt und wollen gegen das Brexit-Abkommen stimmen. Sie spekulieren auf Neuwahlen oder ein zweites Referendum über den EU-Austritt Grossbritanniens. Corbyn steht einem zweiten Volksentscheid aber skeptisch gegenüber.
Die Aussicht auf Neuwahlen wiederum schreckt Mays Parteianhänger. Noch am Sonntag warb die Premierministerin bei den Tories für Zustimmung zu dem Brexit-Deal mit der Warnung vor Neuwahlen und einem Sieg von Labour. «Ich glaube, dass wir uns das Risiko nicht leisten können, Jeremy Corbyn die Macht in die Hände zu geben», sagte sie der «Mail in Sunday».
Ob Corbyn dennoch eine Chance auf das Amt des Regierungschefs bekommt, werden die nächsten Tage zeigen. Auch wenn Amtsinhaberin May angezählt ist – zuletzt gelang es ihr immer wieder, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.