Jesidinnen brechen Schweigen wie Nadia Murad in Deutschland
Nadia Murad ist ihre Inspiration: Jesidinnen aus dem Irak, die der IS zum Opfer gefallen sind, kämpfen sich in Deutschland zurück ins Leben.
Das Wichtigste in Kürze
- Vergewaltigungsopfer aus dem Irak bewältigen ihr Trauma in Deutschland.
- Die Jesidinnen folgen dem Beispiel von Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad.
Vergewaltigt zu werden ist das Schlimmste, was einer Frau im Nahen Osten passieren kann. Das Thema ist tabu, die Opfer werden oftmals mehr geächtet als die Täter. In Deutschland versuchen derzeit rund tausend Jesidinnen aus dem Irak, die vor vier Jahren in die Hände des IS gerieten, mit diesem Trauma klarzukommen, unter ihnen war auch Nadia Murad, der am Montag der Friedensnobelpreis verliehen wird.
Dank eines Hilfsprogramms der baden-württembergischen Regierung kamen Nadia Murad und rund 1100 andere junge Überlebende in den Schwarzwald und fanden dort Hilfe.
Nadia machte den Anfang
Der Traumaspezialist und Psychologe Jan Ilhan Kizilhan ist medizinischer Leiter des Jesidinnen-Projekts in Baden-Württemberg. Schritt für Schritt begleitet er die jungen Frauen auf ihrem Weg in ein friedlicheres Leben. Auch Nadia Murad gehörte zu seinen Schützlingen. «Sie weinte viel, brach zusammen», erinnert sich Kizilhan. «Aber sie sagte mir: Ich will reden.»
Nadia war die erste, die über ihr Schicksal sprach. Ende 2015 ermunterte Kizilhan sie, vor dem UN-Sicherheitsrat zu reden. Der Auftritt machte sie weltberühmt. Seitdem setzt sich die junge Frau unermüdlich dafür ein, dass das Schicksal der Jesidinnen nicht in Vergessenheit gerät.
Für Psychologen, Sozialarbeiter und Übersetzer ist die Arbeit mit den Jesidinnen nicht selbstverständlich. «Sie benutzen andere Begriffe», sagt Kizilhan. «Sie sagen nicht, wir sind vergewaltigt worden, sie sagen, sie haben uns geheiratet. Sie sagen nicht, dass sie eine Traumastörung haben, sie sprechen von Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen».
Lewiza folgt dem Beispiel
Wie Nadia Murad kam auch die heute 22 Jahre alte Lewiza nach Baden-Württemberg, wo sie in einer Spezialklinik in Donaueschingen therapiert wird. «Die erste Zeit war sehr schwierig. Ich hatte ständig Angst, ich glaubte, ich würde wieder in die Hände des IS fallen», erinnert sich die junge Frau an ihre Ankunft vor drei Jahren.
Schwierig war es für sie vor allem, über ihre Erlebnisse in der Gefangenschaft der Islamisten zu erzählen. Inzwischen aber gehe es ihr nach jedem Gespräch «deutlich besser».
Wie im gesamten Nahen Osten verlieren Vergewaltigungsopfer und ihre Angehörigen die Ehre, oftmals werden sie aus der Gemeinschaft ausgestossen. Deshalb sorgte Kizilhan dafür, dass der geistlichen Führer der Jesiden im Irak, Baba Scheich, die jungen Frauen zum Abschied auf die Stirn küsste.