Das Gehirn, das zum Monster wird

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Winterthur Stadt,

Der neue Roman von Beat Glogger, Wissenschaftsjournalist und Geschäftsführer von higgs, verwebt neuste Gehirnforschung mit Fragen nach Lüge und Wahrheit.

Vom Traum ewigen Lebens zum Horror reinen Bewussteins – im Roman «Zweimaltot» wird ein Gehirn gerettet und wiederbelebt. Bild: iStock/DanBrandenburg
Vom Traum ewigen Lebens zum Horror reinen Bewussteins – im Roman «Zweimaltot» wird ein Gehirn gerettet und wiederbelebt. Bild: iStock/DanBrandenburg - Community

Das Wichtigste in Kürze

  • Higgs-Gründer Beat Glogger hat einen Science-Fiction-Krimi mit dem Titel «Zweimaltot» geschrieben.
  • Neuste wissenschaftliche Erkenntnisse bestimmen die Handlung, sogar ein Gehirn mutiert zum Protagonisten.
  • Was Wahrheit ist und was Lüge – diese Fragen bilden die Kulisse zu den fesselnden Ereignissen.

Ein Gehirn liegt in einer Nährlösung. Es ist an diverse Sensoren angeschlossen. So kann es sehen, hören, riechen, ertasten. Und weil seine Gedanken auch in Töne umgesetzt werden, kann es sogar reden. Das klingt gruselig. Die Neuerschaffung von Frankensteins Monster in der Schale sozusagen. Es kann aber auch eine tröstliche Vorstellung sein: Wäre es nicht wunderbar, wir könnten die Gehirne geliebter Verstorbener vor dem Zerfall retten? Sie konservieren und mittels neuer Techniken wieder ans Geschehen in der Welt anbinden? Genau dies geschieht mit dem Denkorgan eines Protagonisten im neuen Buch «Zweimaltot» von Wissenschaftsjournalist Beat Glogger. Nachdem der weltweit beachtete Neurowissenschaftler Frank Stern überfallen worden und über Wochen im Complete-Locked-In-Zustand (Clis), also in einem Zustand völliger Lähmung aller Körperteile bei gleichzeitig vollem Bewusstsein, gefangen gewesen war, stirbt er. Doch seine Assistentin Tina Benz, selbst visionäre Forscherin, erweckt sein Hirn wieder zum Leben. Was als wissenschaftliche Sensation des Jahrtausends beginnt, wird mehr und mehr zur alptraumhaften Szenerie. An einer Schlüsselstelle des Science-Fiction-Krimis – der Autor selbst spricht übrigens von Science-based-Fiction – wird Frank Stern als Gehirn, obwohl nur noch Bewusstsein, zum eigentlich seelenlosen Monster. All seiner körperlichen Ausdehnung beraubt, ist er zu keiner Empathie mehr fähig und tut ganz einfach, was ihm gefällt.

Das alles klingt so unglaubwürdig, dass man Gloggers Roman einfach in die Fantasy-Ecke stellen sollte? Oder noch besser in die Horror-Abteilung? Nein, das Buch wäre dort am falschen Platz. Der Kopf im Topf, der gegen Ende der Geschichte die Herrschaft über Tina Benz zu übernehmen droht, hat in diesen Tagen eine überraschende Entsprechung in der Realität bekommen: US-amerikanische Schweinehirne. Forschenden der Yale School of Medicine ist es gelungen, vom Körper losgelöste Gehirne mittels Blutersatz-Nährstoff-Pumpen wiederzubeleben. Einzelne zeigten leichte Aktivitäten, die allerdings noch weit von einem Bewusstsein entfernt sind. Diese Option hat man bei den Experimenten aus ethischen Gründen aber sowieso ausgeschlossen und sie mit Medikamenten unterdrückt. Dieser Studie wurden unter anderem in Nature, einem der weltweit wichtigsten Wissenschafts-Journale, mehrere Beiträge gewidmet.

Beat Glogger tut also, was ein Sci-Fi-Schreiber tun muss: Er bildet in seinem Roman Möglichkeiten der Forschung ab, die zwar aktuell noch in Kinderschuhen stecken, deren Reifwerdung aber in Zukunft Weltbilder ins Wanken bringen könnten. Doch in der realen Welt gibt es auch eine der Story zuwiderlaufende Entwicklung: Als Frank Stern noch im Clis steckt, kann er sich dank EEG-Kappe und Computer, der seine Gehirnströme in Sprache übersetzt, mit der Umwelt unterhalten. Diese utopische Idee des Autors beruht auf den Arbeiten des renommierten Hirnforschers Niels Birbaumer. Dieser will es geschafft haben, mittels einer mit Sensoren ausgestatteten Kappe mit vollständig gelähmten Menschen zu kommunizieren und von ihnen Antworten auf Ja/Nein-Fragen zu erhalten. Seine einst gefeierten Studien sind inzwischen in Verruf geraten. Sie sollen keinerlei Beweis dafür liefern, dass die Kommunikation mit Patienten in einem Clis wirklich möglich ist. Derzeit wird geprüft, ob wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt.

Um solch irdische Fragen muss sich ein Roman-Autor zwar nicht kümmern – sein Geschäft ist schliesslich Fiktion, nicht Fakt – und doch zeigt auch dieser fast zeitgleich mit Erscheinen von «Zweimaltot» bekannt gewordene mögliche Skandal, wie nah Beat Glogger mit seiner Geschichte am aktuellen Wissenschaftsgeschehen ist.

Und noch eine eindringliche Übereinstimmung von Realität und Erzählung gibt es. Derzeit fragt man sich: Hat Birbaumer die Wahrheit gesagt? Und beim Lesen von Gloggers Krimi überlegt man: Warum verdrehen manche Protagonisten die Fakten? Der ewige Tanz der Wahrheit mit der Lüge weckt in beiden Geschehen soviel Neugier wie er für Drama sorgt.

Initiated by Gebert Rüf Stiftung

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