Ärzte zeichnen ihre Patientengespräche jetzt mit einer App auf

Bei der Dokumentation von Sprechstunden verlieren Ärzte wertvolle Zeit. Einige setzen deshalb auf KI. Viele Patienten haben dafür Verständnis – aber nicht alle.

In einigen Schweizer Arztpraxen werden die Sprechstunden von einer KI transkribiert. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In einigen Schweizer Arztpraxen werden die Sprechstunden neu von einer KI aufgezeichnet.
  • Die Entwickler der App sowie die Ärzte betonen den gewährleisteten Datenschutz.
  • Manche Patienten zeigen sich dennoch besorgt.

Lisa B.* (36) ist nur für eine Kleinigkeit beim Arzt. Ihr Eisenwert ist im Keller, sie braucht eine Infusion. Doch als sie zum Vorgespräch über die Ursachen des Mangels in der Stadtzürcher Praxis auf ihren Arzt wartet, staunt sie.

Vor ihr auf dem Tisch liegt ein A4-Blatt mit einem Hinweis. Der Arzt nutze «bis auf Weiteres» eine App, «um die Patientengespräche aufzunehmen».

Als Patient oder Patientin solle man einfach «unbeschwert» in seiner Muttersprache weiterreden. «Beachten Sie das Aufnahmegerät (ein Handy, Anm. der Red.) nicht.»

Der angepriesene Vorteil: Weil die Künstliche Intelligenz für den Arzt mitschreibt, kann dieser sich voll und ganz «auf den Patienten einlassen».

Lisa staunt. «Ich wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Man hätte mich doch fragen müssen, ob man mein Gespräch aufzeichnen darf», sagt sie zu Nau.ch.

Sie ist seit Jahren Patientin in der Klinik. «Von dieser Aufzeichnung erfahre ich zum ersten Mal.» Und ihr ist nicht wohl dabei.

Zwar handelt es sich bei der «Intonate App» um ein Schweizer Produkt, deren Server in der Schweiz stehen. Die Macher betonen den strengen Datenschutz.

Als Patientin seien ihre Gesundheitsdaten für sie aber «höchst sensibel», so die Zürcherin. «Was, wenn sie in falsche Hände gelangen?»

Lisas Praxis ist nicht allein. Auch die Kinderarzt-Praxis in Kilchberg ZH setzt die App ein. Martin Rössler, einer der Ärzte im Team, spricht mit Nau.ch über die Gründe für diesen Entscheid.

Weniger Stress, mehr Aufmerksamkeit für Patienten

«Die App hat sehr viel Potenzial und wird sich noch weiterentwickeln», sagt der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. «Dadurch, dass ich bereits sehr speditiv arbeite und während der Konsultation dokumentiere, geht es nicht so sehr um Zeitersparnis. Sondern darum, dass ich meine Aufmerksamkeit voll auf die Patienten lenken kann und sie nicht mit einem Bildschirm teilen muss.»

Rössler fügt hinzu: «Ausserdem senkt eine automatisierte Dokumentation erheblich meinen Stresslevel.» Seine Kolleginnen und Kollegen, die im Nachhinein dokumentierten, würden dafür noch einmal zehn Prozent der Konsultationszeit aufwenden.

Ein Arzt berichtet: Da er nicht mehr mitschreiben muss, kann er seine «Aufmerksamkeit wieder voll auf die Patienten lenken». (Symbolbild) - keystone

Die Reaktionen darauf, dass die Sprechstunden von einer KI transkribiert werden, fallen überwiegend positiv aus. Rössler erklärt: «Die Patienten, beziehungsweise deren Eltern, werden gefragt, ob Sie mit der Nutzung einverstanden sind.» Auf der Webseite und in einem Aushang werde über den gewährleisteten Datenschutz informiert.

«Ich habe bisher erst eine Familie gehabt, die nicht einverstanden war. Die meisten reagieren so, als sollte diese Technik selbstverständlich sein», so der Kinderarzt.

Entwickler: KI wird nicht mit Patientendaten trainiert

An dem Pilotprojekt, das nun vorerst abgeschlossen ist, nahmen elf Praxen mit insgesamt 53 Ärzten teil. Das sagt Julian Sutter, Co-Gründer von Intonate, zu Nau.ch.

Sutter, der selbst auch Arzt ist, erklärt: «Ob im stationären oder ambulanten Setting – die fehlende Zeit für die Patientinnen und Patienten wurde häufig am Mittagstisch diskutiert. Diese frustrierende Herausforderung hat uns motiviert, nach Lösungen zu suchen.»

Das Ziel: «den Ärztinnen und Ärzten Zeit bei ineffizienten Arbeiten zu ersparen und ihnen so wieder mehr Freude am schönen Beruf zurückzugeben.»

Die Entwickler der Intonate App stellen eine vorgefertigte Klausel zur Verfügung, die der Patient unterschreiben sollte. (Symbolbild) - keystone

Er rechnet damit, dass durch die Verwendung der App künftig mindestens zwei Minuten pro Patient eingespart werden können. «Bei einem Vollzeitpensum summiert sich das schnell auf 10 Stunden oder mehr pro Monat – also auf einen ganzen Arbeitstag.»

Der Entwickler der Intonate-App betont: Man bearbeite lediglich die Personendaten, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Behandlung des Patienten stehen. «Wir stellen zudem seitens Intonate sicher, dass keine KI-Modelle mit Patientendaten trainiert werden und verschlüsseln die Daten wo immer möglich.» Ausserdem weise man die Arztpraxen darauf hin, die Patienten über die Verwendung der App zu informieren.

Doch was sagt der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte zur Transkription von medizinischen Beratungsgesprächen mittels KI?

«Besondere Vorsicht geboten»

Sprecherin Silvia Böhlen hält allgemein fest: «Ein Arzt oder eine Ärztin ist immer zur gleichen Sorgfalt verpflichtet, unabhängig von den eingesetzten technischen Lösungen.» Der behandelnde Arzt bleibe für die Einhaltung des Datenschutzes verantwortlich.

«Dabei ist zu betonen, dass Gesundheitsdaten besonders schützenswerte Personendaten im Sinne des Datenschutzgesetzes sind und daher besondere Vorsicht geboten ist.» Zudem müsse sichergestellt werden, dass die Daten vor Zugriffen Dritter geschützt sind und nicht für andere Zwecke verwendet werden.

Die Sprecherin fügt hinzu: «Es ist wichtig, dass der Arzt die Grundzüge der Funktionsweise des Systems versteht, das er verwenden möchte. Und weiss, welche Datenbearbeitungsprozesse dabei stattfinden. Er muss seine Patienten schliesslich transparent darüber informieren können.»

Umfrage

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In der Regel würden solche KI-Systeme die Nutzung einer Cloud erfordern. «Wir empfehlen in jedem Fall, die Einwilligung des Patienten einzuholen, wenn Ärzte die Bearbeitung von Daten in einer Cloud planen. Schliesslich ist die Nutzung einer Cloud eines ausländischen Anbieters aus Gründen des Berufsgeheimnisses grundsätzlich zu vermeiden», so Böhlen.

*Name geändert