Berner Apothekerin schlägt wegen Medikamenten-Mangels Alarm

In der Schweiz mangelt es an zahlreichen Medikamenten. Als Folge sind manche Patienten arbeitsunfähig.

Apothekerinnen und Apotheker können zurzeit nicht alle der gewünschten Medikamente herausgeben. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In der Schweiz mangelt es an zahlreichen Medikamenten.
  • Für Patienten kann dies schwerwiegende Folgen haben.
  • Manche kämpfen mit Entzugssymptomen, sind sogar arbeitsunfähig.

Der Medikamenten-Mangel hat die Schweiz fest im Griff. Ursula M.* weiss als Geschäftsführerin einer Berner Apotheke bestens Bescheid. Zu Nau.ch sagt sie: «Neben Krebspatienten, Epileptikern und Diabetikern sind auch Menschen mit einer Angststörung besonders betroffen.»

Denn oft werden bei dieser psychischen Erkrankung Benzodiazepine verschrieben. «Aktuell mangelt es jedoch an zahlreichen Mitteln, zum Beispiel an Lorazepam (Temesta).»

Die Folge: Menschen, die eigentlich gut auf ein Mittel eingestellt waren, müssen jetzt auf andere Benzodiazepin-Arten ausweichen.

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«Diese Umstellung kann problematisch sein», erklärt sie. Zwar gebe es eine sogenannte «Äquivalenz-Tabelle», die Stärke-Grade der verschiedenen Medikamente vergleichbar macht. So soll der Umstieg vereinfacht werden.

«Doch das Ganze ist nicht sehr wissenschaftlich», weiss die Apothekerin. Der Grund: Einige Benzodiazepine wirken beispielsweise eher sedierend, andere eher angstlösend.

Wegen Medikamenten-Mangels arbeitsunfähig

Das hat Auswirkungen: «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Patienten nach der Umstellung massive Probleme haben», sagt M. Müdigkeit oder sogar Entzugserscheinungen seien die Folge.

So etwa Angstattacken, Zittern, Stimmungsschwankungen und sogar körperliche Schmerzen. «Es gibt Leute, die darum überhaupt nicht arbeiten können, bis sie sich an das neue Medikament gewöhnt haben.»

«Nicht zu unterschätzen ist auch die psychische Komponente», führt Ursula M. aus.

«Alleine das Wissen darum, dass es sich um ein anderes Medikament handelt, kann sich negativ auf die Medikamenten-Wirkung auswirken.» Das betreffe vor allem sensible Menschen. «Und gerade Menschen mit einer Angststörung sind häufig sensibel.»

Kleinere Dosis nicht mehr verfügbar

Auch Nau.ch-Leser Tom W.* leidet unter dem Mangel, wenn auch nur indirekt: «Aktuell versuche ich, die Dosis zu reduzieren.» Eine Reduktion in möglichst kleinen Schritten ist bei Benzodiazepinen äusserst wichtig. Ansonsten drohen auch hier Entzugserscheinungen.

«Von den 1,5-Milligramm-Tabletten sind aber keine mehr verfügbar.» Doch Tom W.* weiss sich zu helfen: «Jetzt viertle ich die 3-Milligramm-Tabletten mit einem Schneidegerät. Freundlicherweise hat mir meine Apotheke ein solches geschenkt.»

Der Mangel betrifft aber auch viele andere Medikamentengruppen, wie zum Beispiel Antibiotika. Ursula M. erzählt: «Besonders schockiert hat mich der Fall einer jungen Familie. Das Kind hatte eine Mittelohrentzündung und benötigte dringend einen bestimmten Antibiotikum-Sirup.»

Schon die ganze Stadt habe die Familie erfolglos abgeklappert. «Schliesslich fanden wir das benötigte Medikament in einer Apotheke ausserhalb der Stadt.» Die Familie machte sich sofort mit der Bahn auf den Weg. «So etwas kennen wir sonst nicht.»

Engpass sorgt bei Kunden für rote Köpfe

Von den Kunden hagele es oft Unverständnis. Sie fragten sich: «Warum zahle ich eine so hohe Krankenkassenprämie, wenn der Markt dann nicht funktioniert?»

Hinzu komme: Die Medikamenten-Hersteller informierten nur sehr dürftig über Mangellagen. Geht ein Mittel zur Neige, erfahren dies die Apotheken zu spät.

«Generikum» bezeichnet ein Arzneimittel, das den identischen Wirkstoff eines ehemals patentgeschützten Präparats enthält. - sda - KEYSTONE/GAETAN BALLY

«Wir an der Front baden dann den Frust der Kunden und Patienten aus.» Das seien neben Apothekern zum Beispiel auch die Ärzte.

Als Massnahme gegen die Engpässe sprechen sich Apotheken untereinander ab, schaffen Reserven. Oft wird auf Generika ausgewichen. Doch auch dies verunsichere die Kunden, erklärt Ursula M.

Besondere Herausforderungen in der Kommunikation

Gerade bei geistig Beeinträchtigten, bei älteren Menschen oder bei Personen, die nicht Deutsch sprechen, steigen die Risiken. «Missverständnisse können zu Doppeleinnahmen oder Fehldosierungen führen», betont sie.

Das habe nicht nur gesundheitliche Folgen, sondern wirke sich auch finanziell auf das Gesundheitssystem aus.

Die Apotheken leisten daher intensive Informationsarbeit. «Ein Aufwand, der nicht berechnet werden kann, aber essenziell ist.»

Wann und ob ein Ende der Medikamenten-Mangellage zu erwarten ist, lässt sich nicht sagen. Unerwartet hohe Nachfrage, Ukraine-Krieg, Folgen der Corona-Pandemie: Zu vielseitig sind die Gründe für die aktuellen Engpässe.

*Name geändert