Eltern drohen Kinderärzten, um Platz in Praxis zu bekommen
Im Kanton Zürich fehlt es an zahlreichen Kinderärzten. Eltern stehen ohne medizinische Betreuung für ihr Kind da – und reagieren verzweifelt.
Das Wichtigste in Kürze
- In Zürich hat es viel zu wenig Kinderärztinnen und Kinderärzte.
- Viele Praxen sind überfüllt und laufen am Limit.
- Eltern sehen teils keinen Ausweg – und drohen dem medizinischen Personal.
Im Schweizer Gesundheitswesen herrscht akuter Personalmangel. Das bekommen auch Eltern vermehrt zu spüren. Denn sie können ihre Kinder kaum noch in einer Praxis unterbringen. Vor lauter Verzweiflung kommt es sogar zu Drohungen gegen das medizinische Personal, wie die «Zürichsee-Zeitung» berichtet.
«Die Situation ist prekär», sagt die Kinderärztin Corina Wilhelm. Seit acht Jahren führt sie in Thalwil ZH mit drei Berufskolleginnen eine Praxis. Sie ist zudem Präsidentin der Vereinigung Zürcher Kinder- und Jugendärzte (VZK). Ihr zufolge fehlt es im Kanton Zürich derzeit an 100 Vollzeit arbeitenden Kinderärztinnen und -ärzten.
Kaum eine Praxis kann deshalb neue Patientinnen und Patienten aufnehmen. Wilhelm erklärt gegenüber der Zeitung: «Wir mussten schon mehrfach einen Aufnahmestopp für schulpflichtige Kinder verfügen, um wenigstens Neugeborene und Kleinkinder angemessen betreuen zu können.»
Kinderarzt-Praxis musste Polizei rufen
Die Eltern reagieren verzweifelt. So würden einige mittlerweile sogar mit einer Art Bewerbungsschreiben um einen Praxis-Platz für ihr Kind buhlen. Doch einige greifen sogar auf noch drastischere Massnahmen zurück.
«Leider kommt es auch zu Drohungen von Eltern, deren Kinder nicht aufgenommen werden konnten», so Wilhelm. Sogar die Polizei habe deswegen bereits einmal gerufen werden müssen.
Laut der Kinderärztin ist aber nicht nur der Personalmangel allein Schuld an den überfüllten Praxen. Viele Eltern würden heutzutage auch schneller mal mit dem Kind zum Arzt gehen. Seit der Coronapandemie seien zudem psychische Probleme vermehrt ein Thema.
«Sehr oft stellen Eltern während Vorsorgeuntersuchungen Fragen zu einem Geschwister, das psychische Schwierigkeiten hat», schildert Wilhelm. Das Problem hier: Auch Jugendpsychiater und Schulpsychologen seien massiv überlastet.
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Eine Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen, sähe Wilhelm in einer telefonischen Beratungsstelle – also einer Hotline. Denn aus Erfahrung wisse man, dass 70 Prozent der Eltern nach Telefongesprächen keinen Arzttermin mehr benötigten. Der Vorschlag sei von der Gesundheitsdirektion bisher jedoch abgelehnt worden.
Für die Kinderärztin steht aber fest: Es muss sich dringend etwas ändern. Denn bereits jetzt sei in Zürich jede vierte Ärztin und jeder vierte Arzt im Pensionsalter. Hunderte Familien könnten also bald schon ohne Praxis dastehen, wenn es keine Nachfolge gibt.