ETH Zürich: Experte mahnt: «Durchgreifen allein reicht nicht»
Die Pro-Palästina-Proteste haben die ETH Zürich erreicht. Ein Experte fordert Dialog – und sieht dabei auch die Politik in der Verantwortung.
This browser does not support the video element.
Nau.ch/Nico Leuthold - Studierende an der ETH Zürich demonstrieren am Dienstag für Palästina.
Das Wichtigste in Kürze
- In der Eingangshalle der ETH Zürich kam es gestern Dienstag zu einem Sitzstreik.
- Dutzende Studierende riefen «Free Palestine». 28 wurden verzeigt.
- Ein Reputations-Experte mahnt: Durchgreifen alleine reicht nicht, es brauche Dialog.
- Die ETH Zürich erklärt, sie biete politischem Aktivismus keine Plattform.
Seit gestern Dienstag bewegen die Pro-Palästina-Proteste auch die Deutschschweiz. 30 bis 40 Studierende besetzten die ETH Zürich und riefen Parolen wie «Free Palestine» und «No Tech for Genocide».
Die Hochschule griff bei der unbewilligten Aktion durch. Nach wenigen Stunden löste die Polizei den Protest auf. Wer sich der Räumung widersetzte, wurde aus dem Gebäude getragen. 28 Personen wurden wegen Hausfriedensbruch verzeigt.
This browser does not support the video element.
Nau.ch/Nico Leuthold - Einer der Protestierenden wird am gestrigen Dienstag abgeführt.
ETH Zürich greift durch, Uni Lausanne schaut zu
Am gestrigen Dienstag kam es auch zu Protestaktion an der ETH Lausanne sowie an der Uni Genf. Seit letzter Woche blockieren zudem Studierende die Eingangshalle der Universität Lausanne. Sie haben sich dort mit Zelten und Matratzen häuslich eingerichtet. Die Unileitung liess die Protestierenden – im Gegensatz zur ETH Zürich – bislang gewähren.
Was bedeuten die Proteste für den Ruf der international renommierten Hochschulen? Nau.ch hat beim Reputations-Experten Bernhard Bauhofer nachgefragt.
Er sagt: «Das hängt davon ab, wie lange die Proteste andauern und wie die Hochschulen darauf reagieren.» Wie sich die Situation langfristig auf den Ruf auswirkt, hänge entscheidend von der Reaktion und Kommunikation der Hochschulen ab.
ETH Zürich soll aktiv zur Schlichtung beitragen
Der Experte mahnt: «Nur Durchgreifen reicht nicht. Die Hochschulen müssen zu einer Schlichtung zwischen den verhärteten Fronten beitragen. Dabei sollten auch die vielen Grautöne zwischen dem Pro-Palästina- und dem Pro-Israel-Lager berücksichtigt werden.
Umfrage
Sollten die Hochschulen härter gegen Protestaktionen durchgreifen?
Klar sei aber: «Wenn sich die Proteste in die Länge ziehen, strahlt dies keine guten Signale aus. Nämlich, dass die Hochschulen nicht zu einer Schlichtung beitragen können.»
Bauhofer rät: «Die Unis als traditionelle Foren der Auseinandersetzung sollten zu einer offiziellen Debatte einladen.» Von den Leitungen der ETH Zürich und weiteren betroffenen Hochschulen sei dafür Feingefühl gefragt. «Das ist auch insbesondere gefragt, um einem Anstieg von Antisemitismus entgegenzuwirken und klar Stellung zu beziehen.»
Politik soll Hochschulen unter die Arme greifen
Und: Die Aufgabe sei auch nicht allein zu bewältigen. «Wichtig ist, dass die Politik und der Bundesrat die Hochschulen nicht im Stich lassen.»
Hierbei soll die Schweiz ihre Trümpfe ausspielen. «Es gehört zur Stärke der Demokratie, dass verschiedene Meinungen geäussert und diese auch auf die Strasse getragen werden», sagt er. «Hinzu kommt aber, dass die Schweiz stets für ihre Besonnenheit bekannt ist, um für Ruhe und zur Lösungsfindung beizutragen.»
Bislang halte sich der Bundesrat beim Nahostkonflikt zu stark zurück, findet der Reputations-Experte. «Daher ist es sicherlich begrüssenswert, wenn die Studierenden als zukünftige Generation ein Zeichen setzt und zum Handeln aufruft.»
Dass die Proteste überschwappen zeige, dass die Schweiz nicht isoliert sei und der Krieg die Schweiz genauso betreffe.
Gleichzeitig sei es wichtig, dass zu einer differenzierten Debatte beitragen wird. Er verweist darauf, dass der Konflikt seit Jahrzehnten besteht. «Es gibt kein Schwarz oder Weiss», sagt er.
«ETH Zürich ist keine Plattform für politischen Aktivismus»
Inzwischen hat sich der oberste Sicherheitsverantwortliche der ETH Zürich über die Hochschulkommunikation an die Studierenden und Mitarbeitenden gewandt. Dabei sagt Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Infrastruktur: «Die ETH Zürich sieht sich als Ort, wo unterschiedliche Meinungen und Perspektiven offen geäussert werden dürfen und sollen.»
Wenn daraus ein konstruktiver Dialog entstehen soll, so bedinge dies «allseitig akzeptierte Regeln».
«Unbewilligte Aktionen wie gestern verletzen unsere Regeln und sind kein fruchtbarer Rahmen für einen Dialog», so Weidmann. Weil die Demonstrierenden der Aufforderung, das Gebäude zu verlassen nicht nachkommen sind, habe man Antrag auf Auflösung gestellt.
«Die ETH Zürich bietet politischem Aktivismus keine Plattform, die politische Neutralität ist uns wichtig. Alle unsere ETH-Angehörigen sollen sich auf dem Campus willkommen und sicher fühlen», sagt Weidmann weiter.
«Protestaktionen wie die gestrige werden aber von vielen ETH-Angehörigen als bedrohlich empfunden.» Zudem habe die Hochschule die Aufgabe, für einen reibungslosen Lehr- und Forschungsbetrieb zu sorgen.
Weiter erklärt der ETH-Sicherheitschef, dass die Schulleitung «stets offen für Dialog» sei. Seit Herbst stehe sie mit «sehr vielen ETH-Angehörigen» in Kontakt, die von der Situation im Nahen Osten betroffen sind. Direkt oder indirekt.
Hochschule wehrt sich gegen Forderungen
Die Hochschule lasse sich die Bedingungen für einen Dialog jedoch nicht auferlegen, so Ulrich Weidmann. Für einen Dialog in konstruktiver Form sei man auch künftig «jederzeit zu haben». Wichtig sei, dass die Regeln für «alle Seiten» stimmen.
Die Situation in Gaza lasse ihn nicht kalt, betont er. «Aber es ist nicht die Aufgabe einer Hochschule, politische Positionen zu beziehen.» Eine Forderung nach einem akademischen Boykott würde der Forschungsfreiheit «diametral widersprechen».
«Ganz klar, solche Bilder aus ETH-Gebäuden wünsche ich mir nicht», sagt Weidmann. Er hoffe sehr, dass in diesen angespannten Zeiten weiterhin der friedliche Dialog miteinander gepflegt werde.