Generation Z vermutet überall Narzissten

Die Generation Z trägt dazu bei, dass psychische Störungen entstigmatisiert werden. Doch das hat auch eine Kehrseite, sagt eine Expertin.

Führt sich jemand daneben auf, kommt die Generation Z schnell zur Diagnose: Narzissmus. Eine Expertin übt Kritik. (Symbolbild) - pexels

Das Wichtigste in Kürze

  • Auf Tiktok sind psychische Krankheiten ein beliebtes Thema.
  • Viele Junge diagnostizieren deshalb sich selbst und andere – unter anderem mit Narzissmus.
  • Eine Expertin erklärt, die Störung sei viel seltener, als einige wegen Tiktok meinen.

Psychische Erkrankungen verlieren zunehmend an Stigma, es wird offener darüber gesprochen. Gerade auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok, wo sich die Generation Z tummelt, generiert das Thema Millionen Klicks.

Doch das hat einen unschönen Nebeneffekt, wie eine Expertin beobachtet. Denn: Viele vermuten vorschnell psychiatrische Diagnosen, bei sich selbst und bei anderen.

«Es ist gut, dass psychiatrische Störungen entstigmatisiert werden», sagt Psychiaterin und Krimi-Autorin Esther Pauchard zu Nau.ch. «Aber es gibt eine Kehrseite. Einige finden es plötzlich erstrebenswert, eine Autismus-Spektrumsstörung oder ADHS zu haben

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Hattest du schon einmal den Verdacht, jemand in deinem Umfeld sei ein Narzisst?

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Sie kritisiert, dass viele eine Diagnose als unabwendbares Schicksal sehen würden. «Sie nehmen dann eine passive Haltung ein, im Sinne von: ‹Ich kann leider nicht anders, man muss Rücksicht auf mich nehmen.›» Das sei kontraproduktiv, – «denn es verhindert Therapieerfolge».

Narzissmus ist seltener, als Generation Z glaubt

Doch auch für Personen aus dem Umfeld, die sich daneben benehmen, gibt es einen populären Krankheitsbefund: Narzissmus. Hört man sich auf Tiktok oder unter jungen Menschen um, ist das Wort allgegenwärtig. «In Wirklichkeit ist die Störung aber sehr selten», betont Pauchard.

Auf Tiktok und Co. beschreibt die Generation Z Betroffene gerne als selbstverliebt, arrogant oder asozial. Aber was ist Narzissmus wirklich?

«Die Störung äussert sich nicht bei allen auf gleiche Weise, es ist ein Spektrum», erklärt Pauchard. Bei der Diagnosestellung sei das Kernmotiv einer Person wichtig. Narzisstinnen und Narzissten gehe es unbewusst darum, ihre emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen. Insbesondere das Bedürfnis nach Selbstwert und Anerkennung.

«Betroffene haben in ihrer Kindheit und Jugend erfahren, dass diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden.» Sie hatten oft Eltern, die «unbarmherzig leistungsorientiert» waren. «Als Kind wurden solche Personen beispielsweise ständig abgewertet und höchstens gelobt, wenn sie Topnoten heimbrachten.»

Die Folge: «Narzissten denken, sie müssen stets maximale Leistung bringen, der oder die Beste sein. Merken sie, dass sie das nicht schaffen, geraten sie in existenzielle Not.» Einerseits würden sie deshalb oft Vollgas geben, über ihre Grenzen hinaus, andererseits manchmal andere heruntermachen, um selbst besser auszusehen.

Narzissten fühlen sich innerlich «nie gut genug»

Gegen aussen mag ihr Verhalten also tatsächlich arrogant erscheinen. «Aber innerlich fühlen sie sich nie gut genug.» Ein Patient habe ihr das einmal so beschrieben: «Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich entweder THE MAN – oder einen Wurm.»

«Für die Betroffenen ist das schlimm», wie die Expertin sagt. «Und für das Umfeld sehr anstrengend» – auch die Tatsache, dass sich Narzisstinnen und Narzissten oft nicht einsichtig zeigen.

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«Bei anderen Erkrankungen, etwa bei einer Depression, merken Betroffene früher, dass sie ein Problem haben und Hilfe brauchen.» Anders sei das bei vielen Persönlichkeitsstörungen, wie eben der narzisstischen.

«Diese Personen leiden zwar auch, oft sehr stark. Aber sie merken nicht, dass ihr Leiden etwas mit ihnen selbst zu tun hat. Stattdessen suchen sie die Gründe bei den anderen oder ihren Lebensumständen.»

Trotzdem sei die Störung behandelbar, wenn die Hürde der Einsicht einmal überwunden ist.

Expertin warnt vor Laien-Diagnosen

Das Thema ist also komplex – deshalb will Esther Pauchard davor warnen, selbst Diagnosen auszuteilen. Stattdessen sollte man vor der eigenen Tür wischen, rät sie. «Lieber das eigene Verhalten reflektieren, statt über andere zu urteilen.»

Wenn man ernsthaft vermute, jemand aus dem Umfeld könnte von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung betroffen sein, sei eine feinfühlige Kommunikation wichtig.

«Wenn ich dem anderen grob an den Kopf werfe, er sei ein Narzisst, bringt das nichts. Aber wenn ich sage: ‹Ich habe den Eindruck, du verlangst enorm viel Leistung von dir selbst›, erreiche ich mein Gegenüber eher.»