Immer mehr Junge zieht es aufs Land
Das Wichtigste in Kürze
- Immer mehr junge Menschen sehnen sich nach einem ruhigen Leben auf dem Land.
- Dafür spricht unter anderem, dass viele Einheimische aus den Städten wegziehen.
- Gründe sind unter anderem die Preise und die Sehnsucht nach mehr Ruhe.
Die Mietpreise in den Zentren werden immer höher. Und seit Corona sind viele ein wenig häuslicher geworden. Man erinnert sich zurück: Damals lagen plötzlich Hobbys wie Brotbacken oder Gärtnern im Trend.
Beides führt dazu, dass sich ein neues Phänomen abzeichnet: Immer mehr Junge sehnen sich nach einem Häuschen oder einer Wohnung auf dem Land. Das beobachtet zum Beispiel Immobilienexperte Claudio Saputelli von der UBS.
Er sagt zu Nau.ch: «Von einem Trend würde ich jetzt noch nicht sprechen. Aber es gibt schon gewisse Fakten, die dafür sprechen, dass mehr junge Menschen aufs Land ziehen wollen.»
Hohe Preise und Corona
Erstens sei bekannt, dass die Städte immer mehr Einheimische verlieren. «Die Zahl der Einheimischen, die wegziehen, wird allerdings oft überkompensiert durch die Migration.» Arbeitskräfte aus dem Ausland ziehen laut Saputelli eher in die Stadt als Schweizer – denn: «Sie sind es sich gar nicht gewohnt, dass es zu den Städten Alternativen gibt wie bei uns in der Schweiz.»
Wo wohnst du?
Im Ausland sind die Städte oft von dicht besiedeltem und unattraktivem Umlandgebiet umgeben. «Bei uns ist das dank unseres gut ausgebauten ÖV-Netz anders. Gerade in Zürich: Von vielen Zürcher Dörfern aus ist man in überschaubarer Zeit in der Stadt.»
Zweitens seien die Wohnpreise bekanntlich in den Zentren deutlich gestiegen. Vor allem in Zürich, aber auch in Basel, Bern und anderen Städten gehen die Mietpreise durch die Decke. «Auf dem Land sind die Wohnungen günstiger. Das macht es attraktiver für Haushalte mit begrenztem Budget.»
Das bestätigt auch Jugendforscher Rüdiger Maas: «Wir vermuten, dass einer der Hauptgründe aufs Land zu ziehen, der des Geldsparens ist.»
Drittens: «Vor fünf Jahren gab es nur selten die Möglichkeit, Homeoffice zu machen. Seit Corona ist das anders.» Müsse man nur zweimal die Woche pendeln, entscheide man sich womöglich für einen weniger zentralen Wohnort.
Auch Stadtzürcher entdecken langsam den Rest der Schweiz
Doch die Pandemie dürfte die Sehnsucht nach dem Dorfleben auch noch anders verstärkt haben. «Dass beispielsweise viele Stadtbewohner ihre geliebten Zentren selten verlassen haben, ausser, um in die Ferien zu fliegen. Das hat sich durch Corona geändert.»
Damals habe man gesehen, wie die Schweizer Tourismusorte im Inland wiederentdeckt wurden. «Da ist vielleicht der ein oder andere Schweizer Städter auf die Idee gekommen, dass es im Grünen schön ist.»
Zu Corona-Zeiten ging es zudem für viele ruhiger zu und her. «Einige sind dabei offenbar auf den Geschmack gekommen. Der Uetliberg bei Zürich zum Beispiel ist an schönen Wochenenden oft übervölkert. Da geht man lieber ein wenig weiter hinaus.»
Dass Corona ein Grund ist, konnte das Institut für Generationenforschung von Rüdiger Maas in Zahlen aber nicht feststellen.
Influencerinnen backen Brot – Hunderttausende Likes
Dennoch: Auf Social Media macht sich der Trend vor allem seit Corona bemerkbar. Dort zeigen Influencerinnen ihr «simples» (aber natürlich ästhetisches) Leben auf dem Land. Sie wohnen im romantischen Cottage, streicheln ihre Laufenten und backen Brot.
«Cottagecore» (Deutsch etwa: extremer Landhaus-Chic) nennt sich das. Der Begriff boomte besonders ab dem Corona-Jahr 2020.
Doch bis heute werden täglich zahlreiche Videos auf Tiktok und Co. im Cottage-Chic hochgeladen – und hunderttausendfach geliked. Zum Hashtag gibt es ganze 1,7 Millionen Beiträge auf Tiktok.
Ob der Social-Media-Trend auch eine Rolle spielt, kann Saputelli nicht sagen. Er ist aber überzeugt: «Was im Internet passiert und was in der Gesellschaft, beeinflusst sich natürlich gegenseitig.»
Gefällt dir romantischer Landhaus-Chic?
Mit den sozialen Medien allgemein könnte die Sehnsucht nach dem Dorfleben trotzdem zu tun haben: «Gerade die Jungen werden wegen Social Media mit Informationen bombardiert. Das löst einen Gegentrend aus – mehr Spiritualität, Meditieren und Ruhe. Das ist die logische Konsequenz.»
Auch Saputelli selbst wohnt etwas abgelegen an der Grenze zu Deutschland – und geniesst es sehr. «Ich würde ungern in der Stadt wohnen. Auf dem Land ist es nicht nur günstiger, man hat auch viel mehr Platz. Und wenn man nach draussen geht, hat man seine Ruhe.»