Wer sich für ADHS oder Autismus abklären will, muss lange warten: Viele Fachstellen sind ausgebucht. Gleichzeitig boomt das Thema auf Tiktok.
Eine Tiktok-Userin teilt Symptome ihres ADHS. - TikTok/@dopamine_on_fleek

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Diagnosestellen für ADHS und Autismus werden derzeit regelrecht überrannt.
  • Gleichzeitig sind beide psychischen Störungen auf Tiktok ein Riesenthema.
  • Zwei Frauen erzählen, warum sie wegen Tiktok glauben, betroffen zu sein.
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«Ich wollte mich wegen Tiktok auf ADHS und Autismus abklären lassen. Aber es gab keine Termine», sagt die 26-jährige Lea Z.* zu Nau.ch.

Damit ist sie nicht alleine. Auch Nathalia K.* (27) ist wegen Tiktok auf die Idee gekommen, dass sie vermutlich ADHS oder ADS habe, wie sie erzählt.

Abklären lassen will sie sich aber im Moment nicht, denn: «Ich bin durch das vermutete ADHS nicht im Alltag gehindert. Zudem ist es schwierig, Termine zu bekommen.»

Tatsächlich ist der Ansturm auf die Diagnosestellen gross: Viele warnen schon auf ihrer Webseite, dass es kaum Termine gebe. Teilweise warten Betroffene Monate oder gar Jahre auf Hilfe.

ADHS und Autismus sind auf Tiktok Riesenthema

Ob das tatsächlich mit Tiktok zusammenhängt, ist unklar. Ein wichtiger Grund dürfte weiterhin Corona sein – während der Pandemie nahmen psychische Störungen laut der WHO weltweit zu.

Fakt ist aber: Auf der Videoplattform sind Autismus und ADHS ein Riesenthema. Die Begriffe haben englisch geschrieben je rund 30 Milliarden Klicks.

Kennen Sie die Symptome von ADHS?

Ein Beispiel: Userin SanazB listet in einem Video «Anzeichen, dass du ADHS hast» auf. Ihr zufolge ist es ein Symptom, wenn man sich stundenlang absondert und an seiner Haut herumdrückt. Oder wenn man sehr gesprächig ist und andere oft unterbricht, tagträumt und sich schlecht konzentrieren kann.

Tiktokerin SanazB listet ADHS-Symptome auf: Sich absondern und an der Haut herumdrücken, andere unterbrechen, tagträumen und so weiter. - TikTok / @meltsinfusions

Andere zeigen konkrete Situationen, mit denen sie aufgrund ihres ADHS Mühe haben. Wegen solchen Videos glauben Lea Z. und Nathalia K., dass sie vermutlich eine psychische Störung haben.

K. erzählt, sie habe immer mehr Clips zum Thema gesehen – bis sie dachte: «Das kann kein Zufall sein, dass ich vieles so ähnlich erlebe wie Menschen, die mit ADHS diagnostiziert sind.»

Tiktok-Videos fördern «Akzeptanz»

Die Masse an Tiktok-Inhalten hat Vor- und Nachteile, sagt Dr. Evelyn Herbrecht. Sie ist Expertin für Autismus-Spektrum-Störungen an der Klinik für Kinder und Jugendliche der UPK (Universitäre Psychiatrische Klinik) Basel.

Was sie positiv sieht: «Die Auseinandersetzung mit psychischen Schwierigkeiten und psychiatrischen Diagnosen trägt meines Erachtens zu mehr Wissen und Akzeptanz bei.»

ADHS
ADHS und Autismus sind auf Tiktok ein Riesenthema.
Autismus
Die Begriffe haben englisch geschrieben je rund 30 Milliarden Klicks.
Autismus
Zahlreiche Betroffene zeigen ihren Alltag mit einer psychischen Störung oder listen ihre Symptome auf – hier eines von Autismus: wählerisch sein beim Essen.
Psychiater
Gleichzeitig stürzen sich in der Schweiz derzeit viele Menschen auf die Diagnosestellen – es gibt kaum Termine. (Symbolbild)
Tiktok
Ob zwischen den Tiktok-Videos und dem Ansturm ein Zusammenhang besteht, ist unklar. (Symbolbild)
Autismus
So zum Beispiel Nau.ch-Leserin Lea Z. Sie erhielt aber eine Absage – es gab keine freien Termine. Das ist aktuell vielerorts so, wie Autismus deutsche Schweiz warnt.

Das Thema Autismus sei sowohl bei Eltern wie auch bei Fachleuten in den letzten Jahren deutlich präsenter geworden. «Es besteht eine höhere Sensibilität.» Ob das mit Tiktok zusammenhänge, könne sie nicht beurteilen – dazu fehlen Zahlen.

Experten warnen vor zu einfachen Videos

Doch auf Social Media werden ADHS und Co. oft vereinfacht – das kritisiert die Expertin. «Psychiatrische Störungen sind häufig komplex. Man sollte nicht glauben, dass einzelne Symptome gleich bedeuten, dass man eine psychische Störung habe.»

Vor zu einfachen Tiktok-Videos warnt auch Digital-Experte Mike Schwede. Er erinnert sich an zahlreiche Fälle, bei denen Influencer Fake News verbreiteten.

«Dabei gibt es heute viele gute Online-Angebote. Das Problem ist, dass seriöse Webseiten für die Leute oft schwer verständlich sind.» Er findet deshalb, dass Fachstellen selbst Tiktoks und Instagram-Reels produzieren müssten.

*Name der Redaktion bekannt

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