Historiker: Schweiz hat Rechtsextremismus immer wieder ignoriert
Die Schweiz ignoriere die Gefahr rechtsextremer Gruppierungen schon immer, sagt ein Historiker. Sie glaubten aktuell, auf mehr Resonanz zu stossen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Historiker kritisiert, dass die Schweiz Rechtsextremismus schon immer ignoriert habe.
- Vor allem im Internetzeitalter dürften solche Gruppen aber nicht verharmlost werden.
- Einige der Ideen, die für sie wichtig seien, würden von etablierten Parteien diskutiert.
Historiker Damir Skenderovic sieht bei rechtsextremen Gruppierungen wie der Jungen Tat eine neue Art der Propaganda am Werk: Sie soll provozieren und faszinieren. «Das ist brandgefährlich.» Die Grösse solcher Gruppen sei zwar meist überschaubar, sagte Skenderovic in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung».
«Doch gerade im Internetzeitalter ist es fast wichtiger, wie viele Menschen sie mit ihren Inhalten erreichen können – und wie viele ähnlich denken wie sie.» Sie dürften deshalb nicht verharmlost werden.
Dass Rechtsextreme heute wieder verstärkt in die Öffentlichkeit drängten – wie mit Aktionen vor dem Tanzhaus Zürich letzte Woche –, liege am veränderten politischen Kontext: Sie glaubten, vermehrt auf Resonanz zu stossen. «Gewisse Ideen, die den Rechtsextremen wichtig sind, werden auch durch etablierte Parteien und Medien diskutiert. Sie sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen», so Skenderovic.
Historiker: Problem in der Schweiz immer ignoriert
Als Beispiel nannte er das Gender-Thema. Rechtsextreme Gruppierungen versuchten, auf den «Gender-Zug» aufzuspringen und sich und ihr restliches Gedankengut so zu normalisieren. Das menschenverachtende rechtsextreme Gedankengut – darunter die Vorstellung einer natürlichen biologisch vorgegebenen Rollenverteilung und Werteunterschiede zwischen Menschen – führte in der Vergangenheit zu zahlreichen Gewalttaten und gipfelte letztmalig in der Schweiz im «kleinen Frontenfrühling» in den 1980er Jahren.
Der Schweiz wirft Skenderovic vor, auf dem rechten Auge blind zu sein. Kam es nicht zu krassen Gewalttaten wie in Chur 1989 als vier Tamilen, darunter zwei Kinder, getötet worden waren, machten sich die Behörden selten stark gegen rechtsextreme Gruppen. «Das Problem wurde immer wieder ignoriert.»