Klimawandel: ETH-Prof rechnet mit massiver Meeresspiegel-Erhöhung
Eine Studie sagt, dass der Meeresspiegel bis 2100 um 27 Zentimeter ansteigt – ohne zusätzliche Erderwärmung. Nun schlägt auch ETH-Professor Reto Knutti Alarm.
Das Wichtigste in Kürze
- Laut Forschenden wird der Meeresspiegel auch ohne weitere Klimaerwärmung ansteigen.
- In einer neuen Studie ist die Rede von mindestens 27 Zentimetern Anstieg bis 2100.
- ETH-Professor Reto Knutti rechnet sogar mit deutlich schlimmeren Szenarien.
Rund 27 Zentimeter soll der Meeresspiegel bis zur Jahrhundertwende steigen, selbst falls sich die Erde in Zukunft nicht weiter erwärmt. Zu diesem Schluss kommen Forschende in einer neuen Studie, welche in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» veröffentlicht wurde.
Darin eingerechnet ist das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds, nicht aber die Erderwärmung durch den Klimawandel. Was bedeutet das nun? ETH-Professor und Klimaforscher Reto Knutti ordnet die Erkenntnisse des Berichts im Gespräch mit Nau.ch ein.
Nau.ch: Herr Knutti, wie dramatisch wäre ein Anstieg des Meeresspiegel von knapp 30 Zentimetern?
Reto Knutti: 27 Zentimeter wären nicht so viel. Es handelt sich aber nur um das absolute Minimum, das aufgrund der bisherigen Erwärmung nicht mehr zu vermeiden ist. Da wir den Klimawandel aber nicht sofort stoppen können, wird es deutlich mehr sein.
Nau.ch: Was wäre denn eine realistische Prognose bis 2100?
Reto Knutti: Bis Ende des Jahrhunderts müssen wir je nach Klimaschutz von einem halben Meter bis zu einem Meter ausgehen. Extreme Szenarien gehen noch höher: In Grönland sind sind noch etwa sechs Meter Meeresspiegel gespeichert, in der Antarktis etwa 60 Meter.
Das würde zwar erst über viele Jahrhunderte bis Jahrtausende relevant, ist aber trotzdem ernst zu nehmen. Wir müssen uns bewusst sein, dass der Meeresspiegel sehr langsam reagiert aber kaum je wieder sinkt. Was mal da ist, das bleibt praktisch für immer.
Nau.ch: Welche Konsequenzen hätte das für tiefgelegene Küstenregionen?
Reto Knutti: Das kommt drauf an. Der Meeresspiegel steigt nicht überall gleich stark, da Strömungen und die Muster der Erwärmung eine Rolle spielen. Hinzu kommt, dass sich einige Gebiete zusätzlich absenken, wie zum Beispiel Venedig.
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Trotzdem gibt es Regionen, die vom Klimawandel besonders stark betroffen sind. Holland ist offensichtlich bedroht, aber auch Teile von Dänemark, Norddeutschland und England könnten plötzlich versinken.
Nau.ch: Was bedeutet der Anstieg des Meeresspiegels für die Natur und die Lebensräume der Tiere?
Reto Knutti: Die Natur kann sich langfristig zum grössten Teil anpassen, Pflanzen und Tiere können wandern. Die grösste Gefahr besteht durch den Klimawandel für unsere Infrastruktur.
Weltweit leben mehrere hundert Millionen Menschen extrem nahe am Meer. Viele der ganz grossen Städte sind nur ganz knapp über dem heutigen Meeresspiegel und somit bedroht.
Punktuell wird man sich mit Dämmen und Verbauungen schützen können. Über sehr grosse Distanzen und vor allem ausserhalb der westlichen Welt ist das aber fast unbezahlbar. Bangladesch zum Beispiel liegt zu etwa drei Viertel unter dem Meeresspiegel. Dort werden die Herausforderungen riesig.