Notschlafstellen: «Es müssen täglich Personen abgewiesen werden»

Nachts wird es schon wieder richtig kalt draussen. Trotzdem übernachten viele Obdachlose unter freiem Himmel statt in einer Notunterkunft. Warum ist das so?

In der Nacht wird es bereits wieder kalt. Warum schlafen trotzdem viele obdachlose Menschen draussen? (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Winter kommt immer näher und nachts wird es richtig kalt.
  • Trotzdem schlafen viele Obdachlose draussen.
  • Grund ist oftmals, dass die Notschlafstellen überfüllt sind.
  • Auch psychische Probleme und der Preis halten Obdachlose davon ab, drinnen zu schlafen.

Wer morgens früh aus dem Haus geht oder abends spät nach Hause kommt, muss sich mittlerweile warm anziehen. Denn in der Nacht wird es bereits frostige fünf Grad kalt. Trotzdem schlafen viele obdachlose Menschen draussen, obwohl es Hilfsangebote gäbe. Warum?

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In der Stadt Bern gebe es zurzeit etwa 35 bis 40 obdachlose Personen, sagt Claudia Hänzi, Leiterin des Sozialamts. Die Zahl variiere aktuell aber sehr stark.

Notschlafstellen überfüllt

«Für einen bedeutenden Teil der Menschen, die aktuell draussen übernachten, gibt es derzeit keine anderen Möglichkeiten», erklärt Hänzi. Denn: Die Notschlafstellen seien überfüllt, nicht nur in Bern. «Es müssen täglich Personen abgewiesen werden.»

Das bestätigt auch die Berner Notschlafstelle Sleeper. Sie sagt auf Anfrage, die Notschlafstelle mit 20 Plätzen sei jeden Abend voll. Man müsse auch Menschen abweisen.

Dieselbe Rückmeldung gibt auch die Jugendnotschlafstelle Pluto, die für drei Jahre als Pilotprojekt in der Stadt Bern läuft: «Wir sind immer stark ausgelastet. Insgesamt haben wir sieben Plätze und zwei Notfallplätze. Regelmässig müssen wir auch Menschen abweisen.»

Man merke an allen Daten, dass die Notschlafstelle Pluto genutzt und gebraucht werde. Von Mai 2022 bis Mai 2023 seien total 2229 Übernachtungen bei Pluto gezählt worden. Das entspricht durchschnittlich einer Belegung von sechs Personen pro Nacht.

Die nötige Kapazitätserweiterung für Notschlafstellen sei beim für das Leistungsfeld zuständigen Kanton Bern bereits beantragt, sagt Claudia Hänzi. Antwort und Finanzierungszusage des Kantons würden aber noch ausstehen.

Mehrbettzimmer sorgen für Belastung

Zudem gebe es auch Gründe, wieso Obdachlose es vorzögen, draussen zu übernachten. Personen ohne Bleiberecht in der Schweiz würden den Kontakt zu Notschlafangeboten beispielsweise meiden. Sie hätten «Angst, dass ihr illegaler Aufenthalt bekannt wird».

«Weiter bleiben oft Personen mit psychischen Erkrankungen draussen, weil sie es nicht ertragen, in einem Mehrbettzimmer zu übernachten.» Dieser Aussage Hänzis pflichtet Eva Gammenthaler von der Kirchlichen Gassenarbeit Bern bei: In Bern würden in Notschlafstellen vor allem Mehrbettzimmer angeboten.

«Aufgrund der hohen Auslastung bedeutet dies, dass sich jeweils sehr viele Menschen auf kleinem Raum aufhalten.» Die stressige Lebenslage der obdachlosen Menschen führe dann dazu, dass es in solchen Mehrbettzimmern zu Reibereien unter den Bewohnenden komme. «Weiter gibt es bis heute leider kein FINTA-spezifisches Notschlafangebot», so Gammenthaler weiter.

(FINTA ist die Abkürzung für Frauen, Inter Personen, Nichtbinäre Menschen, Trans Menschen und Agender Personen, Anm. d. Red.)

Notschlafstelle zu teuer

Obendrauf sei auch noch der Preis für eine Notschlafstelle für viele obdachlose Personen zu hoch. Bis auf Pluto seien «alle Angebote zahlungspflichtig und kosten zwischen fünf und 15 Franken». Das möge nicht nach viel klingen, sei jedoch für einige Menschen ein Zugangshindernis.

Zudem seien Notschlafstellen nur abends geöffnet. Dies stelle aber «nicht für alle Personen eine geeignete Zeit» dar, meint Gammenthaler von der Kirchlichen Gassenarbeit. «Ich denke hier spezifisch an Menschen, die einer Nachtarbeit nachgehen.»

Auch Haustiere seien in vielen Notschlafstellen nicht erlaubt. «Wer sich entscheiden muss, ob das Haustier vor der Tür bleiben muss oder ob man gemeinsam draussen übernachtet, wählt Zweiteres.»