Steigen mit der R-Zahl bald die Corona-Infektionen?
Die R-Zahl ist ein Indikator für kommende Ansteckungen. Weil die Fallzahlen tief sind, ist sie schwierig zu berechnen – und deshalb mit Vorsicht zu geniessen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Reproduktionszahl der Corona-Ansteckungen in der Schweiz wird auf 1,18 geschätzt.
- Das heisst: jede infizierte Person steckt im Schnitt 1,18 weitere Personen an.
- Ob die Ansteckungszahlen jetzt steigen, hängt aber von der Genauigkeit der Statistik ab.
Schnellen sie in die Höhe oder bleiben sie tief? Jeden Mittag wartet die Schweiz auf die Neuinfektionszahlen des BAG. Dabei gibt es noch eine weitere Zahl, von der die Ausbreitung des Coronavirus abhängt: die sogenannte Reproduktionszahl (kurz R-Zahl).
In Deutschland gibt das Robert Koch-Institut die Reproduktionszahlen regelmässig als wichtigen Massstab bekannt. In den letzten Tagen schwankte die R-Zahl um den Wert 1. Gestern Abend lag sie bei 0,86. Zum Wochenstart lag sie noch bei 1,19.
In der Schweiz ist die Angabe dieser Zahl jedoch weniger prominent. Dabei ist die Reproduktionszahl wieder gestiegen. Laut der Schätzung der Covid-19 Task Force des Bundes liegt sie bei 1,18.
Diese Daten stammen vom 6. Juni. Die R-Zahl bezieht sich immer auf einen zehn Tage früheren Zeitpunkt, denn: Zu diesem Zeitpunkt haben sich die aktuellen bestätigten Fälle angesteckt.
Doch was ist die R-Zahl überhaupt? Die Reproduktionszahl oder Reproduktionsrate gibt an, wie viele Menschen von einer infizierten Person angesteckt werden. Die Reproduktionszahl 1,18 bedeutet also, dass jede angesteckte Person im Schnitt 1,18 weitere Personen ansteckt.
Steigende Reproduktionszahlen = steigende Ansteckungen mit Coronavirus?
Ziel der Pandemiebekämpfung ist, die Reproduktionszahl tiefer als eins zu halten. Somit sinkt die Zahl der Personen, die neu mit dem Coronavirus angesteckt werden. Bis Ende Mai lag die Reproduktionszahl in der Schweiz knapp unter diesem Wert. Bisher bleiben die Ansteckungen in der Schweiz stabil auf tiefem Niveau.
Nun gehen die Schätzungen davon aus, dass jede angesteckte Person im Durchschnitt mehr als eine weitere Person ansteckt. Bedeutet das, dass auch die Ansteckungszahlen wieder steigen werden?
Sebastian Bonhoeffer, ETH-Professor und Leiter der Expertengruppe Data and Modelling der Covid-19 Task Force schreibt auf Anfrage von Nau.ch: «Nein, da das Konfidenzintervall den kritischen Wert von 1 beinhaltet, kann derzeit diese Schlussfolgerung nicht gezogen werden.»
Das Konfidenzintervall ist ein statistisches Mittel, das anzeigt, wie präzise dieser Wert ist. Die genaue R-Zahl bewegt sich demnach zwischen 0,89 und 1,49. Die exakte Zahl kann man statistisch nicht ermitteln.
Unterschiede in den Kantonen
Laut dem Lagebericht der Covid-19 Task Force ist die R-Zahl je nach Kanton unterschiedlich. Sehr hohe R-Zahlen haben etwa die Kantone Tessin oder Luzern. Doch auch hier sind die Angaben mit Vorsicht zu geniessen. Der Grund: die tiefen Ansteckungszahlen.
ETH-Professor Bonhoeffer: «Bei kleinen Fallzahlen sind die Unsicherheitswerte gross. Deswegen sieht man grosse Unsicherheitsintervalle in den Kantonen. Es ist generell zu erwarten, dass die Fallzahlen starke regionale Unterschiede zeigen.»
Noch bereitet die gestiegene R-Zahl den Fachexperten keine Sorgen. Solange die Ansteckungszahlen tief bleiben.