Coronavirus: Warum sind die Fallzahlen so schnell gesunken?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweiz lockert die Massnahmen früher als erwartet.
- Die Statistiken belegen, dass die Schweiz in der Corona-Bekämpfung erfolgreich war.
- Steigt die Zahl der Infektionen wieder? Experten sagen, die Lage ist unter Kontrolle.
Seit Wochen verkündet BAG erfreuliche Zahlen: Die Schweiz hat das Coronavirus weitgehend in den Griff bekommen. Folgerichtig konnte der Bundesrat zahlreiche Lockerungs-Schritte früher vornehmen als erwartet.
Vergleicht man die Situation international, fällt auf: Die Schweiz hat vieles richtig gemacht. Doch wie gelang es, das Coronavirus so schnell in den Griff zu bekommen? Und warum steigen die Fallzahlen trotz Lockerungen nicht wieder an?
Ziel erreicht: Reproduktionszahl R sank auf unter 1
BAG und Bundesrat haben einen konsequenten Kampf gegen die Ansteckungen geführt: Ziel der Massnahmen war von Anfang an, Ansteckungen zu verhindern. Wie viele Personen eine infizierte Person ansteckt, beschreibt die Reproduktionszahl R.
Beträgt die Reproduktionszahl genau 1, steckt eine Person eine weitere an. Liegt die Reproduktionszahl höher, steigt die Anzahl Neuinfektionen. Ist die Reproduktionszahl kleiner als 1, steckt jeder Infizierte im Schnitt weniger als eine Person an: Die Zahl der Neuansteckungen schrumpft.
Liegt R oberhalb des Schwellenwerts von 1, ist das Wachstum exponentiell: Bei einer Reproduktionszahl von 2 und 1000 infizierten Personen sind es innerhalb von vier Tagen bereits 2000 Neuinfektionen. Nach zwölf Tagen sind es 8000.
Coronavirus: Massnahmen sollen Reproduktionszahl niedrig halten
Die Schätzungen für die Reproduktionszahl des Coronavirus ohne Massnahmen gehen weit auseinander: Vor der Einführung der Schutzmassnahmen lag der Wert je nach Land gemäss BAG zwischen 1,9 und 5,3. Die Höhe der Zahl ist von vielen Faktoren abhängig, darunter Populationsdichte, Anzahl und Intensität zwischenmenschlicher Kontakte und hygienische Bedingungen.
Ziel der vom Bundesrat erlassenen Massnahmen war, den R-Wert auf unter 1 zu drücken. Dass dies gelungen ist, zeigte sich an den sinkenden Neuinfektions-Zahlen. Das BAG gibt für die Zeit seit dem Erlass der Massnahmen einen Schätzwert von 0,4 bis 0,8 an.
R ist schneller gesunken als prognostiziert?
Die Statistiken zeigen: Die Massnahmen haben Wirkung gezeigt. Dabei hatten Wissenschaftler den Höhepunkt der Welle eigentlich erst im Mai erwartet, berichtete SRF gestern im «10vor10». Doch war nun Homeoffice, Social Distancing oder regelmässige Desinfektion für den Rückgang verantwortlich?
Infektiologe Pietro Vernazza erhebt gegenüber der Sendung Zweifel an der Wirksamkeit einiger Massnahmen. «Ich bin überzeugt, dass es viele Massnahmen gibt, die wahrscheinlich nichts bewirkt haben. Wenn wir im Freien Einschränkungen machen, dass wir keine Zoos mehr besuchen dürfen, dann hat das wahrscheinlich keinen Effekt gehabt.»
Überall Lockerung: Zweite Welle vorprogrammiert?
«Die Gefahr einer zweiten Welle ist real», sagt Epidemiologe Rafael Mikolajczyk gegenüber der deutschen «Welt». Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hält dagegen: Die Absage von Grossveranstaltungen, Abstands- und Hygieneregeln seien die wichtigsten Massnahmen – diese Regeln werden weiterhin aufrechterhalten.
Drastische Massnahmen waren nötig, um die Lage nach der schnellen Ausbreitung in den Griff zu bekommen. Bleiben die Fallzahlen überschaubar, lässt sich die Reproduktionszahl auch mit anderen Massnahmen niedrig halten: Die Rückverfolgung und Eindämmung von Ausbrüchen mittels Contact Tracing ist bei den aktuellen Zahlen deutlich realistischer als noch vor wenigen Wochen.