Kunst und Körper: «Deine kalten Hände» von Han Kang

Ein Bildhauer und zwei Frauen, die schreckliche Dinge erlebt haben. In ihrem Roman entwickelt die Südkoreanerin Han Kang eine Leidens-Chronik des weiblichen Körpers.

«Deine kalten Hände» von Han Kang. Foto: Aufbau Verlag Berlin - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit ihrem Roman «Die Vegetarierin» schaffte die Südkoreanerin Han Kang 2016 den internationalen Durchbruch.

Ihre mit dem renommierten Man Booker Preis ausgezeichnete Geschichte über eine Frau, die immer weniger Nahrung zu sich nimmt, war in Südkorea bereits 2007 erschienen. Noch fünf Jahre früher veröffentlichte die 1970 geborene Autorin den Roman «Deine kalten Hände», der jetzt in der deutschen Übersetzung vorliegt.

In vielerlei Hinsicht wirkt dieser ältere Text wie eine umfangreiche Vorstudie zu dem Welterfolg «Die Vegetarierin». Auch in «Deine kalten Hände» geht es um Frauen, die eine Essstörung haben, um patriarchale Machtverhältnisse und den männlichen Blick auf den weiblichen Körper. Han Kang erzählt in ihrem frühen Roman die rätselhafte Geschichte des Bildhauers Jang Unhyong, der sich magisch von der stark übergewichtigen Studentin L. angezogen fühlt. Er will unbedingt Gipsabdrücke von ihrem massigen Körper anfertigen. Vor allem die zierlichen Hände von L. faszinieren den eigenwilligen Künstler, der eine freudlose Kindheit hatte und fast wie ein Eremit in seinem Atelier lebt. Als L. schliesslich einwilligt, entspinnt sich eine zarte Liebesbeziehung zwischen Künstler und Modell, die abrupt endet, als L. sich in einen anderen Mann verliebt und beschliesst, radikal abzunehmen.

Diese Konstellation wirkt wie auf dem Reissbrett entworfen. Ein Mann macht sich ein Abbild von der Frau, deren abnormes Gewicht einen traurigen Grund hat: L. wurde als Teenager missbraucht, und ass dann solange, bis ihr Peiniger von ihr abliess. «Ich weiss nicht, wann ich anfing, mich gut zu fühlen, wenn ich Essen im Mund hatte. Pausenlos kaute ich etwas. Irgendwann frass ich nur noch, egal, ob das Aufschliessen der Tür zu hören war oder nicht. Ich begann zuzunehmen. Ich schätze, ich nahm jeden Monat zehn Kilo zu. Trotzdem wurde dieser Mistkerl nicht müde. Als ich vierzig Kilo zugenommen hatte, sah er mich endlich wie ein Monster an.»

Im zweiten Teil dreht die Autorin diese Versuchsanordnung um: Der Bildhauer lernt die höchst attraktive, selbstbewusste und erfolgreiche Innenarchitektin E. kennen und lieben. Auch von ihrem Körper macht er Gipsabdrücke. Aber auch E. entzieht sich ihm wieder, kehrt später zurück und offenbart ihre bizarre Vorgeschichte: Als Kind wurde sie als Aussenseiterin abgestempelt, weil sie an einer Hand sechs Finger hatte. Erst als dieser Makel beseitigt wurde, fühlte sie sich als normale Frau. Aber die Verstümmelung hat ihren Preis: Auch E. leidet unter massiven Essstörungen.

Wie Blaupausen legt die Autorin diese beiden Dramen übereinander, aber leider erfahren wir in diesem Roman fast nichts über die gesellschaftlichen Verhältnisse in Südkorea. Han Kang spielt konsequent ihre Körperdramen durch, aber diese Geschichten von missbrauchten Frauen hängen im luftleeren Raum und kommen sehr konstruiert daher. Und die Sprache bleibt oft formelhaft: «Ihre Augen glichen schwarzen Glaskugeln», heisst es einmal. Oder: «Das Leben ist eine Hülle, die sich über einem Abgrund wölbt, und wir leben darauf wie maskierte Akrobaten.» Das existentielle Pathos, welches dieser Roman so oft beschwört, verrutscht immer wieder ins Schwülstige.

- Han Kang: Deine kalten Hände, Aufbau Verlag Berlin, 312 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-351-03683-6.