Nach Gesprächen mit Erdogan bleiben Differenzen

Bei seinem Staatsbesuch in Berlin macht der türkische Präsident keine echten Zugeständnisse. Die zentralen Streitpunkte bleiben.

Das Wichtigste in Kürze

  • Laut Merkel gibt es nach dem Gespräch mit Erdogan weiterhin «tiefgreifende Differenzen».
  • Besonders umstritten bleibt die Lage zahlreicher politischer Gefangener in der Türkei.
  • Mehr als 1000 Kritiker Erdogans versammelten sich zu einer Demonstration.

Die deutsch-türkischen Beziehungen bleiben trotz Schritten zu einer Wiederannäherung beim Staatsbesuch von Präsident Recep Tayip Erdogan in einer Krise. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am Freitag nach einem Gespräch mit Erdogan im Kanzleramt, es gebe weiterhin «tiefgreifende Differenzen». Sie nannte Einschränkungen der Pressefreiheit und der Menschenrechte in der Türkei. Besonders umstritten blieben der Fall des türkischen Journalisten Can Dündar und die Lage zahlreicher politischer Gefangener in der Türkei. Am Nachmittag versammelten sich nach Polizeiangaben mehr als 1000 Kritiker Erdogans auf dem zentralen Potsdamer Platz zu einer Demonstration, weitere strömten hinzu.

Erdogan bestand auf der Auslieferung Dündars. «Das ist unser natürliches Recht», sagte der Staatschef. Dündar sei ein «Agent», der «Geheimnisse des Staates preisgegeben» habe. Für den türkischen Staat sei er ein «Verbrecher» und dafür zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Der frühere Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet» war wegen eines Artikels zu Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts nach Syrien verurteilt worden und lebt in Deutschland im Exil.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz in Berlin. - Keystone
Ertugrul Yigit, Chefredakteur des Internetportals Aurupa Postasi, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Pressefreiheit für Journalisten in der Türkei" trägt, wird im Bundeskanzleramt aus der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Erdogan, Präsident der Türkei geführt. - dpa

Sein Fall drohte sich am Freitag zu einem Eklat auszuwachsen. Der Deutschen Presse-Agentur hatte er angekündigt, an der Pressekonferenz Merkels und Erdogans teilnehmen und dem Präsidenten kritische Fragen stellen zu wollen. Er verzichtete aber auf die Teilnahme, nachdem es aus der Erdogan-Delegation Drohungen gab, die Pressekonferenz platzen zu lassen.

Journalist wegen T-Shirt hinausgeführt

Allerdings kam es dort dann zu einem Zwischenfall: Der Journalist Ertugrul Yigit, der ein T-Shirt mit der Aufschrift «Gazetecilere Özgürlük - Freiheit für Journalisten in der Türkei» trug, wurde von Sicherheitsleuten hinausgeführt.

Die türkische Regierung hatte bereits vor Erdogans Besuch in Deutschland die Auslieferung unter anderem von Dündar gefordert, wie die regierungsnahe Zeitung «Yeni Asir» berichtete. Dazu sei eine «Terrorliste» mit 69 Namen übergeben worden.

Demonstranten protestieren in Köln gegen den Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan und für Demokratie in der Türkei. - dpa

Erdogan forderte von Deutschland einen entschlosseneren Kampf gegen den Terrorismus. In Deutschland hielten sich «Tausende Mitglieder der PKK-Terrororganisation» auf. Zudem seien «Hunderte» Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland. Die türkische Führung macht die Bewegung um den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich.

«Wir haben vieles, was uns eint»

Beide Seiten betonten aber auch gemeinsame Interessen. «Wir haben vieles, was uns eint», sagte Merkel und nannte die Partnerschaft in der Nato, Fragen der Migration und den Kampf gegen Terrorismus. Die Türkei leiste «Herausragendes», indem sie mehr als drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien beherberge. Zur Lage in dem Bürgerkriegsland kündigte die Kanzlerin ein Vierertreffen mit den Präsidenten Frankreichs, Russlands und der Türkei noch für Oktober an.

Der türkische Präsident warb für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland. Zugleich mahnte er mit Blick auf die Kritik an den vielen Inhaftierten in seinem Land Respekt vor der Justiz an. «Weder habe ich das Recht, das Rechtssystem Deutschlands oder seine Gerichte zu kritisieren, noch haben Sie das Recht, das türkische Rechtswesen zu kritisieren. Denn die Justiz ist unabhängig, und ihre Urteile gilt es zu respektieren», sagte er.

Demonstranten protestieren in der Kölner Innenstadt gegen den Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan und für Demokratie in der Türkei. - dpa

Das Verhältnis beider Länder war nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vor zwei Jahren an einen Tiefpunkt gekommen - unter anderem wegen der Verhaftung deutscher Staatsbürger. Erdogan ist aber um Entspannung bemüht, nachdem er sich mit US-Präsident Donald Trump angelegt hatte und die Türkei unter wirtschaftlichen Druck geraten ist.

Mehr als 20 deutsche Wirtschaftsbosse getroffen

Zum offiziellen Auftakt seines Staatsbesuchs wurde er von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren begrüsst. Seinen Besuch will Erdogan auch nutzen, um die Geschäftsbeziehungen zur deutschen Wirtschaft auszubauen. Er traf am Freitag mehr als 20 deutsche Wirtschaftsbosse. Das Thema steht auch bei einem zweiten Treffen mit Merkel am Samstagmorgen im Mittelpunkt. Danach reist der Präsident zur Eröffnung einer Moschee nach Köln weiter.

Wegen des Absturzes der türkischen Lira gibt es eine massive Zunahme von Geldüberweisungen nach Deutschland. Allein zwischen April und Juni stieg der Kapitalzufluss aus der Türkei nach Deutschland auf 4,57 Milliarden Euro, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage hervorgeht, über die die Funke-Mediengruppe als erste berichtete und die auch der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Erdogan hatte seine Landsleute aufgefordert, angesichts des Kursverfalls der Lira zur Stabilisierung der Lage Euro und Dollar in die Landeswährung zu tauschen - viele scheinen stattdessen aber zu versuchen, ihr Geld im Ausland in Sicherheit zu bringen.

Der Staatsbesuch war begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot, Protesten, Strassensperrungen und Staus. 4200 Polizisten aus Berlin, sieben weiteren Bundesländern und von der Bundespolizei sollten allein am Freitag im Einsatz sein. Die Demonstration am Potsdamer Platz stand unter dem Motto «Erdogan not welcome». Angemeldet waren 10 000 Teilnehmer.