Vorwurf des Totalversagens angesichts chaotischer Evakuierung aus Kabul
Angesichts der chaotischen und sehr späten Evakuierungsaktionen erst inmitten der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Afghanistan spricht die Opposition von einem Totalversagen der Bundesregierung.
Das Wichtigste in Kürze
- Bundesregierung weist Kritik zurück - Fehleinschätzungen aber eingeräumt.
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock warf der Regierung am Montag vor, «vor der Realität die Augen verschlossen» zu haben. Von einem «historischen Fiasko» sprach Linken-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow.
«Jetzt, in diesem Moment, müssen die Leute ausgeflogen werden, mit allen Möglichkeiten, die wir haben», verlangte Baerbock. Um ihr Leben bangen müssten neben den Ortskräften der Bundeswehr in Afghanistan auch Dolmetscherinnen und Dolmetscher, Medienvertreter oder Frauenrechtlerinnen. Baerbock bekräftigte ihre Forderung nach «Kontingenten im fünfstelligen Bereich» für die Aufnahme von Schutzsuchenden.
Viel zu lange sei die Regierung davon ausgegangen, «dass schon alles gut wird», kritisierte auch der Grünen-Aussenpolitiker Omid Nouripour. Statt Evakuierungen vorzubereiten, habe sich die Regierung noch bis vor einer Woche darauf konzentriert, «die Abschiebungen nach Afghanistan fortzusetzen». Dabei hätten Viele eine schnelle Machtübernahme der Taliban vorausgesagt.
«Es ist moralisch und ethisch zwingend geboten, dass die Bundesregierung jetzt die Leute aus Kabul holt. Jetzt geht es um eine unbürokratische Massenevakuierung», forderte Hennig-Wellsow in der Funke Mediengruppe. Sie machte vor allem Bundesaussenminister Heiko Maas für Versäumnisse der vergangenen Wochen verantwortlich, wodurch es viele «nicht mehr schaffen, sich und ihre Familien zu retten».
«Die Bundesregierung muss erklären, wie sie die dramatische Zuspitzung vor Ort derart verschlafen konnte und warum sie so schlecht auf die Evakuierung vorbereitet war», erklärte der FDP-Aussenpolitiker Bijan Djir-Sarai. Auch er pochte nun auf eine «schnelle und sichere Evakuierung der deutschen Staatsbürger, der afghanischen Ortskräfte und freien journalistischen Mitarbeiter». «Es darf niemand zurückgelassen werden», forderte der FDP-Politiker.
«Es ist beschämend, dass die Bundesregierung unfähig war, Ortskräften beispielsweise in Masar-i-Scharif eine rechtzeitige Ausreise zu ermöglichen», kritisierte auch der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff. «Heiko Maas, Annegret Kramp-Karrenbauer und Horst Seehofer haben da auf ganzer Linie versagt», sagte er auch mit Blick auf die Verteidigungsministerin und den Innenminister.
Zuvor war bekannt geworden, dass die deutsche Botschaft in Kabul schon längere Zeit erfolglos auf die Gefahren hingewiesen hat, in diesem Fall vor allem mit Blick auf die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn nun etwas schief gehen sollte, «so wäre dies vermeidbar gewesen», hiess es laut einem ARD-Bericht in einem Schreiben des stellvertretenden deutschen Botschafters Hendrik van Thiel vom Freitag, aus dem der Sender zitierte.
Vertreter der Bundesregierung wiesen gleichwohl die Kritik und den Vorwurf der Untätigkeit zurück. Es werde schon seit Monaten an Verfahren zur Evakuierung gefährdeter afghanischer Ortskräfte gearbeitet, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Auch seien bereits viele Menschen in Sicherheit gebracht worden.
«Richtig ist, dass unsere Einschätzung, wie sich die Lage entwickeln wird, falsch war», räumte der Sprecher allerdings weiter ein. Regierungssprecher Steffen Seibert kündigte eine offene und ehrliche Bewertung des deutschen Engagements in Afghanistan an. Allerdings sei «heute nicht der Tag dafür», vielmehr gehe es jetzt darum, möglichst viele Menschen noch in Sicherheit zu bringen.