Der stärkste Schweizer WM-Trumpf heisst Kambundji
In Doha in Katar werden ab Freitag in 49 Disziplinen die Weltmeisterinnen und Weltmeister 2019 erkoren. Ein Medaille für die Schweiz liegt kaum drin, Final-Klassierungen (Top 8) hingegen schon.
Das Wichtigste in Kürze
- Weltmeisterschaften im Herbst, in einem Wüstenstaat, mit Wettkämpfen in den Abend- und Nachtstunden sowie in einem klimatisierten Stadion: Der Saisonhöhepunkt 2019 der Leichtathleten steht unter ganz besonderen Vorzeichen, die alle Teilnehmer vor Herausforderungen stellen.
Wer hat seine Kräfte in der langen Saison richtig eingeteilt? Wer kommt mit den Bedingungen vor Ort am besten zurecht? Wer kann noch zulegen, wenn es drauf ankommt? Die letzten Wettkämpfe liegen für die meisten Schweizer Athletinnen und Athleten rund einen Monat zurück. Die Pause vor den Weltmeisterschaften bot Chancen und barg Gefahren. Verpasstes konnte aufgeholt werden - oder die Form drohte verloren zu gehen.
Viel Selbstvertrauen aus der Wettkampfphase im August zieht Mujinga Kambundji. Die Sprinterin gönnte sich nach der Hallensaison eine ausgedehnte Pause. Der Saisoneinstieg im ersten Wettkampfblock verlief enttäuschend bis harzig, danach meldete sich die 27-Jährige in alter Stärke zurück: 11,00 über 100 m bei nahezu Windstille, ein Schweizer Rekord über 200 m in 22,26 Sekunden und ein starker 5. Rang über die halbe Bahnrunde beim Diamond-League-Final in Zürich, dessen Teilnehmerfeld einem WM-Finalfeld würdig war. Mujinga Kambundji gilt in Doha als erste Anwärterin auf einen Schweizer Top-8-Platz.
Der Strassenläufer Julien Wanders zeigte diesen Sommer erstmals auch auf der Bahn starke Leistungen. Herausragend war der Schweizer Rekordlauf in Hengelo über 10'000 m in 27:17,29 Minuten. Ebenfalls über 5000 m unterbot der 23-jährige Genfer die Zeitvorgabe für Doha. Gleichwohl: Ein Vorstoss in die Top 8 würde überraschen.
Ansonsten fielen die Leistungen der Schweizer WM-Equipe moderat aus. Alex Wilson hatte zwar gleich zu Sommerbeginn mit den Schweizer Rekorden über 100 und 200 m für Furore gesorgt, danach bremsten ihn Kniebeschwerden. Der späte Zeitpunkt der Titelkämpfe eröffnete ihm die Möglichkeit, nochmals die Topform zu erreichen. Die Europameisterin Lea Sprunger, die WM-Fünfte von London 2017, kam diesen Sommer nicht auf Touren, nie ist sie die 400 m Hürden unter 55 Sekunden gelaufen. Immerhin darf ihr nach wie vor das Potenzial für einen Final-Vorstoss attestiert werden. Bei Weltklasse Zürich war die Westschweizerin hervorragend unterwegs gewesen, ehe sie den Lauf noch verbockte.
Kariem Hussein kämpft sich in der gleichen Disziplin wie Sprunger nach einer Verletzung wieder an das internationale Niveau heran. Die Limite hat er mit Ach und Krach geschafft, aber ein Finalplatz (Top 8) wie vor zwei Jahren liegt ausser Reichweite. Der Hürden-Sprinter Jason Joseph überzeugte in der ersten Saisonhälfte, die er mit Gold an den U23-Europameisterschaften abschloss. Im August hingegen verhaute der Basler seine Auftritte.
Selina Büchel, eine Leistungsträgerin der vergangenen Jahre, blieb diesen Sommer blass. Die 800-m-Läuferin aus dem Toggenburg verpasste die WM-Limite, wurde aber von der IAAF eingeladen, um die Felder aufzufüllen. Gleiches gilt für die Olympia-Sechste Nicole Büchler. Die Stabhochspringerin sucht nach einer Baby-Pause wieder den Anschluss. Fabienne Schlumpf, die EM-Zweite über 3000 m Steeple, brach die Saison wegen einer Fussverletzung ab.
Die Schweizer Frauen sind mit beiden Staffeln in Doha vertreten. In London 2017 resultierte über die 4x100 m ein 5. Rang - der dritte Top-8-Platz neben Sprunger und Hussein. Dazu hatten 42,51 Sekunden genügt, diese Zeit haben die Frauen erneut in den Beinen. Im Mai hatten ihre Kolleginnen an den Staffel-WM in Yokohama mit dem 7. Rang über 4x400 m das WM-Ticket gelöst. Gleichwohl scheint der Vorstoss in den Final ausser Reichweite.
Als dritter Trumpf für eine Top-8-Klassierung könnte neben Kambundji und der Sprint-Staffel auch Tadesse Abraham stechen. In den letzten Jahren hat der gebürtige Eritreer an Grossanlässen überzeugt. Abraham weilt für den letzten Schliff in Äthiopien. Wegen der Hitze im Golfstaat wird der Marathon um Mitternacht gestartet.
Das Gros der Schweizer Equipe bereitete sich in den letzten Wochen in Belek in der Türkei auf den Saisonhöhepunkt vor. Eine längere Akklimatisierung an die 40 Grad Celsius mit intensiven Trainings vor Ort macht kaum Sinn. Deshalb reisen die meisten der 22 Athletinnen und Athleten der Schweizer WM-Delegation erst wenige Tage vor dem Einsatz an. Im Stadion dürften dank der riesigen Klimaanlage rund 25 Grad herrschen.