Coronavirus befeuert Lehrermangel – nicht nur negativ
Seit Jahren spitzt sich der Lehrermangel in der Schweiz zu. Das Coronavirus verschlimmert die Situation zusätzlich. Und doch gibt es Hoffnung.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Lehrermangel spitzt sich weiter zu.
- Alleine im Kanton Bern sind rund 270 Stellen ausgeschrieben.
- Corona treibt zwar die Studierendenzahlen nach oben, verzögert aber die Austritte.
Sie sind in der Corona-Krise mitunter am meisten exponiert: die Lehrerinnen und Lehrer. Zwar ist mittlerweile erwiesen, dass sich Lehrer genauso häufig mit dem Coronavirus infizieren wie die Schüler. Trotzdem blieben die Schulen auch während der zweiten Welle offen. Reihenweise müssen Klassen oder ganze Schulhäuser in Quarantäne.
Zum gesundheitlichen kommt der psychische Stress hinzu: Viele Schüler drohen abgehängt zu werden. Fast 90 Prozent der Lehrer gaben kürzlich in einer Umfrage des VPOD an, unter steigendem psychischen Druck zu leiden.
Die Pandemie ist Gift für eine Branche, die sonst schon seit Jahren unter bedrohlichem Fachkräftemangel leidet. «Wir haben auch in diesem Jahr einen akuten Personalnotstand in den Schulen.» Die oberste Schweizer Lehrerin Dagmar Rösler zeichnet ein düsteres Bild.
Wie Rösler zu Nau.ch sagt, mangelt es auf allen Stufen an Klassenlehrpersonen. Bei Französisch und Heilpädagogik ist die Lage besonders dramatisch. Aber auch in der siebten bis neunten Klasse fehlt es akut an qualifizierten Lehrkräften.
Das Coronavirus hat den Mangel noch verschärft, wie das Beispiel des Kantons Bern zeigt. Doch es gibt einen Lichtblick.
400 pensionierte Lehrer in Bern – in nur einem Jahr
Täglich werden im Kanton derzeit Stelleninserate ins Netz gestellt. Diese reichen von Klassenlehrpersonen über Kindergärtner bis hin zu Heilpädagogen.
Unbefristete Stellen sind gemäss der Bildungsdirektion derzeit rund 270 ausgeschrieben. Dies entspricht für den gleichen Zeitpunkt dem Umfang der letzten zwei Jahre.
Einen wesentlichen Faktor für den Lehrermangel spielt die grosse Pensionierungswelle. Alleine in diesem Kalenderjahr werden in Bern 400 Lehrpersonen pensioniert, 285 davon haben eine Vollzeitstelle.
Können dies neu ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer auffangen? Ein Punkt lässt hoffen: Das PH-Studium ist so gefragt wie nie. Die Pädagogische Hochschule Bern etwa verzeichnet seit zehn Jahren einen stetigen Anstieg. «Doch dieses Jahr ist das Wachstum deutlich stärker», stellt PHBern-Sprecher Michael Gerber fest.
In sämtlichen Instituten, von Vorschul- über Sekundarstufe bis Heilpädagogik verzeichnet die PH derzeit mehr Anmeldungen als je zuvor. Und das noch vor Anmeldeschluss.
Das Coronavirus spielt für den Rekord eine wesentliche Rolle: Viele können kein Auslandsjahr einbauen und beginnen ihr Studium darum direkt nach der Matura. Hinzu kommt: «Die Menschen finden Berufe, die krisensicher sind, attraktiv. Zudem liegt der Beruf der Lehrerin, des Lehrers schon seit Längerem wieder im Trend.»
Coronavirus wird zum Diplom-Bremser
Trotzdem kann der Studierenden-Boom den Lehrermangel vorläufig nicht entschärfen. Im Gegenteil: Corona verlängert bei einigen das Studium.
«Viele haben zusätzlich unterrichtet, anderen wiederum fällt es nicht so einfach, von zu Hause aus zu studieren und auch psychische Probleme; verstärkt durch das Coronavirus, können zu Verzögerungen beim Abschluss führen.» Darum rechnet die PHBern im Sommer 2021 mit einer Stagnation bei der Zahl der Diplomierten.
Auch der Berufsverband Bildung Bern berichtet von einer aussergewöhnlichen Situation. Und diese fordert aussergewöhnliche Massnahmen, erzählt Stefan Wittwer, Co-Leiter Pädagogik. «Einige Lehrpersonen haben ihre Pensen erhöht, ihre Pensionierung hinausgeschoben oder arbeiten teilweise über 100 Prozent.»
Dank der Kreativität vieler Schulleitungen und der Flexibilität der Lehrpersonen würden Schulen aktuell Lösungen finden. Doch die Abstriche sind gross. Zur Hilfe eilende PH-Studenten seien zwar eine grosse Hilfe, würden aber wiederum mehr Betreuung beanspruchen.
Der Berufsverband hofft, dass das Coronavirus langfristig helfen kann. «Mittelfristig braucht es mehr professionell ausgebildetes, gut qualifiziertes Personal. Die PHBern-Anmeldezahlen machen Hoffnung», sagt Wittwer optimistisch. Doch bis sich die Situation entspannt, dürften noch ein paar Jahre vergehen.