Bund lanciert Aktionsplan für mehr Biodiversität
Hans Romang leitet seit 3 Jahren die BAFU-Abteilung Arten, Ökosysteme, Landschaften. Zuvor war er als Leiter der Wetterabteilung bei MeteoSchweiz tätig und blickt auf viele Berufsjahre in der Privatwirtschaft und in der Forschung zurück, mit Schwerpunkt Naturgefahren und Risikomanagement. Hans Romang stammt aus dem Berner Oberland und wohnt heute in Interlaken (BE). Er ist Vater von zwei Kindern und schätzt Natur und Landschaft auch in der Freizeit.
Hans Romang im Interview mit Gregor Klaus
Was bedeutet Ihnen persönlich Biodiversität?
Hans Romang: Wenn ich durch die Natur spaziere und die Vielfalt des Lebens höre, sehe, rieche und spüre, bereitet mir das grosse Freude. Das Summen der Insekten, die Farben der Blumen und der Duft des Waldes sind etwas Wunderschönes. Diese sinnlichen Erfahrungen geben mir Kraft, Erholung und Inspiration.
In der Schweiz wird es aber immer leiser. Seit der Jahrtausendwende ist hier beispielsweise der Feldlerchenbestand um 45 Prozent zurückgegangen.
Das stimmt – leider! Viele der angestammten Arten der Schweiz sind schon fast verschwunden, und unsere Lebensräume haben sich sehr stark verändert. Das zeigt auch unser Bericht zum Zustand der Biodiversität. Denken wir nur an die Moore. Von diesen sehr wertvollen Lebensräumen sind nur noch kleine Reste übrig, und diese sind häufig in schlechter ökologischer Qualität.
Angesichts dieser Biodiversitätskrise erstaunt es, dass kein Aufschrei durch die Bevölkerung geht.
Die Biodiversität geht schleichend verloren. Eine farbenprächtige Magerwiese, die zu stark gedüngt wird, schaltet nicht sofort von bunt auf grasgrün um. Da können Jahre oder Jahrzehnte vergehen. Auch ich muss mich ständig zurückerinnern: Wie hat eine einst vertraute Landschaft früher ausgesehen, welche Arten kamen vor 20 oder 30 Jahren noch vor? Wenn man aber nicht bewusst darüber nachdenkt, dann bemerkt man die Veränderungen schlichtweg nicht. Daher sind wissenschaftliche Monitoringprogramme so wichtig.
Wenn wir es eh nicht merken: Wieso sollten uns die Verluste beunruhigen?
Nur eine biodiverse Umwelt ist auch eine stabile Umwelt, die uns Gesundheit, Sicherheit, Lebensqualität und nicht zuletzt wirtschaftlichen Erfolg garantiert. Mit dem Rückgang der Biodiversität sinkt auch die Fähigkeit der Ökosysteme, lebensnotwendige Leistungen wie Nahrungsmittelversorgung, Trinkwasserreinigung, Klimaregulation, Hochwasserschutz und Erholung zu erbringen. Dies muss uns sehr beunruhigen und sollte uns bewegen, aktiv zu werden! Nur die Wechselspiele einer vielfältigen Biodiversität können unsere heutigen Bedürfnisse abdecken und wappnen uns für zu erwartende oder überraschende Umweltveränderungen. Das gilt beispielsweise für Extremereignisse wie Trockenperioden – denken wir nur an den Hitzesommer 2018 – oder für den Ausfall einzelner Bestäuber.
Ist es Aufgabe des Staates, hier einzugreifen?
Unbedingt! Biodiversität ist ein öffentliches Gut. Jede Einzelperson kann profitieren, auch wenn ihr Verhalten komplett biodiversitätsschädigend ist. Wir sehen uns hier mit einem klassischen Marktversagen konfrontiert, das staatliches Handeln begründet.
Der Bund hat 2017 seine Bemühungen zum Schutz der Biodiversität nochmals verstärkt und den Aktionsplan zu seiner Strategie Biodiversität verabschiedet. Die Strategie nennt als Oberziel: «Die Biodiversität ist reichhaltig und gegenüber Veränderungen reaktionsfähig; die Biodiversität und ihre Ökosystemleistungen sind langfristig erhalten.» Kommen wir mit dem Aktionsplan ans Ziel?
Der Aktionsplan ist ein sehr gutes Werk. Er geht die grössten Defizite mit massgeschneiderten Massnahmen an und ist in ganz verschiedene Politikbereiche und Sektoren eingebettet. Zudem nimmt er bestehende Fortschritte auf, knüpft an sie an und verbindet die losen Fäden zu einem Gesamtwerk. Der Aktionsplan Biodiversität hat alleine jedoch zu wenig Kraft, um die Biodiversität in all ihren Facetten langfristig zu erhalten und zu fördern. Dazu braucht es das Engagement jedes und jeder Einzelnen.
Die drei grossen Naturschutzorganisationen der Schweiz sind anderer Meinung. In einer Medienmitteilung titelten sie: «Der Berg hat eine Maus geboren.» Wie erklären Sie sich diese Reaktion?
Die Naturschutzorganisationen nehmen eine wichtige Funktion als Anwältinnen und Sprecherinnen der Natur wahr und stellen ihrer Rolle gemäss Forderungen. Wir haben uns jedoch gezielt für ein Engagement in den Erfolg versprechendsten Bereichen und gegen einen Papiertiger entschieden.
Bemängelt wurde die geringe Anzahl Massnahmen.
Ein Mehr an Massnahmen hätte unserer Meinung nach die Qualität des Aktionsplans nicht erhöht. Die Rückmeldungen der Kantone im Rahmen der Vorkonsultation waren entscheidend dafür, dass einige Massnahmen insbesondere im Bereich Raumplanung weggefallen sind. Weitere Massnahmen wurden anderweitig umgesetzt, beispielsweise in den Bereichen invasive gebietsfremde Arten oder Pestizide. Massnahmen, die an die Freiwilligkeit appellierten, haben wir nicht aufgenommen.
Was würden Sie als besonders innovativ am Aktionsplan bezeichnen?
Der Aktionsplan zeigt Wege auf, wie drängende Umweltprobleme angegangen und gelöst werden können. Er muss aber nicht in erster Linie innovativ sein, sondern funktionieren. Und das wird er, weil er quer durch verschiedene Sektoralpolitiken und Lebensbereiche vernetzt ist.
Welche sind die wichtigsten Stossrichtungen des Aktionsplans?
Ganz zentral ist die direkte Förderung der Biodiversität. Sie hat zum Ziel, als Basis des Biodiversitätsschutzes ein Lebensnetz für die Schweiz zu errichten, im Fachjargon «Ökologische Infrastruktur» genannt. Das Lebensnetz für die Schweiz besteht aus ökologisch besonders wertvollen Lebensräumen, die miteinander vernetzt sind. Mit dem Lebensnetz wollen wir eine reichhaltige Biodiversität fördern, den Arten eine gute Lebensqualität bieten, natürliche Wechselwirkungen ermöglichen und gleichzeitig eine nachhaltige Nutzung der Natur durch den Menschen zulassen. Eine weitere Stossrichtung ist die indirekte Förderung der Biodiversität. Es geht darum, das Potenzial der verschiedenen Lebens-, Politik- und Wirtschaftsbereiche für die Biodiversität sichtbar zu machen und zu nutzen. Wir wollen also eine Brücke schlagen zwischen der Biodiversitätspolitik des Bundes und der Schweizer Gesellschaft und streben dabei eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen an. Schliesslich suchen wir den Dialog mit der Bevölkerung. Die Biodiversität und ihr Wert für unsere Gesellschaft sollen Teil des Denkens, der Entscheidungen und der Handlungen werden.
Hat der Aktionsplan tatsächlich Einfluss auf die Landwirtschaftspolitik?
Der Bundesrat hat sich klar zu einer nachhaltigen Landwirtschaft bekannt, welche die Biodiversität erhält und fördert. Der Aktionsplan verlangt deshalb, dass die Ziellücken bei den Umweltzielen Landwirtschaft schnell geschlossen werden, was natürlich eine Signalwirkung für die laufenden Diskussionen zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik ab 2022 entfaltet. Das BAFU steht dazu in intensivem Austausch sowohl mit dem Bundesamt für Landwirtschaft als auch mit den kantonalen Behörden und nicht zuletzt den Landwirtinnen und -wirten, also unseren Partnern vor Ort. Dadurch wird nicht nur das Unternehmertum gefördert, sondern eine ökologisch-ökonomische Positivspirale ausgelöst.
Reichen die finanziellen Mittel, die für den Aktionsplan gesprochen wurden?
Nein, sie reichen nicht. Allein für die Sanierung und Pflege der Biodiversität in den Biotopen von nationaler Bedeutung bräuchte es viel mehr Geld. Der ganze Prozess hat aber erst begonnen, und zusätzliche Mittel sollen schrittweise zur Verfügung gestellt werden. Das gibt den Kantonen die Möglichkeit, ihre Finanzpläne anzupassen. Wichtig ist, dass Politik und Gesellschaft die Erhaltung und Sanierung von Ökosystemen als Investment in unsere Zukunft sehen. Wenn wir jetzt nichts tun, wird uns das später teurer zu stehen kommen. Die Mittel für die Biodiversität kommen übrigens auch der regionalen Wirtschaft zugute, die von Aufträgen zur Umsetzung der Massnahmen profitiert.
Wann wird der Biodiversitätsverlust gestoppt sein?
Dies kann niemand voraussagen. Ziel ist es auch nicht, eine bestimmte Anzahl Tier- und Pflanzenarten in den Regionen zu erreichen, sondern funktionsfähige Ökosysteme zu erhalten und damit deren Leistungen zu garantieren. Mit dem Aktionsplan Biodiversität haben wir die richtige Richtung eingeschlagen. Die Schweiz wird durch ihn reicher, sicherer und schöner.