Esperanto – als eine Sprache die Welt vereinen sollte

Nadine Brügger
Nadine Brügger

Polen,

1903, vor genau 115 Jahren also, wurde die Schweizerische Esperanto-Gesellschaft gegründet. Was hat es mit der Sprache auf sich, die vor-babylonische Zustände herbeiführen und die Welt mit einer gemeinsamen Zunge einen wollte?

Ostermarkt in Białystok, heute Polen, im ausgehenden 19. Jahrhundert Teil des russischen Zarenreiches. Hier lebte Ludwik Zamenhof, als er Esperanto entwickelte.
Ostermarkt in Białystok, heute Polen, im ausgehenden 19. Jahrhundert Teil des russischen Zarenreiches. Hier lebte Ludwik Zamenhof, als er Esperanto entwickelte. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • 1887 ist das Geburtsjahr der Plansprache Esperanto. 16 Jahre später hielt die Sprache auch in der Schweiz Einzug.
  • Entwickelt hat die logisch aufgebaute und leicht lernbare Sprache der Augenarzt Ludwik Zamenhof.
  • Sein Pseudonym Doktoro Esperanto (Doktor Hoffender) gab der Sprache ihren Namen.
  • Die Idee zu Esperanto, einer weltumspannenden Sprache, wurde geboren, als Englisch noch weniger verbreitet war.

Im 19. Jahrhundert glich Bialystok – heute Polen, damals Teil des russischen Zarenreichs – einem Babel im Kleinen: Die Mehrheit der Stadtbevölkerung sprach verschiedene jiddische Dialekte. Doch auch Polnisch, Deutsch, Russisch, Weissrusisch und Tataren-Dialekte waren als Muttersprache in der Stadt vertreten.

Eine gemeinsame Sprache? Fehlanzeige. Heftige Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen? Bingo.

Unter dem Pseudonym Doktoro Esperanto (Doktor Hoffender) entwickelte Ludwik Zamenhof Ende des 19. Jahrhunderts die Plansprache Esperanto.
Unter dem Pseudonym Doktoro Esperanto (Doktor Hoffender) entwickelte Ludwik Zamenhof Ende des 19. Jahrhunderts die Plansprache Esperanto. - UEA

«Wenn die Menschen sich nur verstehen würden», dachte sich der junge Augenarzt Ludwik Zamenhof, «könnten die meisten Konflikte friedlich gelöst werden».

Eine der Sprachen, etwa das mehrheitlich gesprochene Jiddisch, zur städtischen Hauptsprache zu erheben, kam nicht in Frage. Dann wären die täglichen Scharmützel eskaliert. So also setzte Zamenhof sich an seinen Schreibtisch und begann ein gewagtes Unterfangen: Er erfand eine neue Sprache. 1879 stellte Zamenhof seine Lingvo internacia (internationale Sprache) erstmals einem engen Kreis aus Freunden vor. Zehn Jahre später folgte die erste gedruckte Grammatik unter Zamenhofs Pseudonym Doktoro Esperanto (Doktor Hoffender).

La Esperantisto

Die Mai-Ausgabe des Esperantisto, der ersten Zeitschrift in Esperanto. Publiziert 1891 in Nürnberg.
Die Mai-Ausgabe des Esperantisto, der ersten Zeitschrift in Esperanto. Publiziert 1891 in Nürnberg. - Österreichische Nationalbibliothek

Mit der Jahrhundertwende und gesteigerter Mobilität stieg das Interesse an der einenden Sprache. Immer mehr Esperanto-Sprachgesellschaften wurden gegründet. Erst vor allem in Osteuropa, bald aber auch in Frankreich und im deutschsprachigen Raum.

Bereits 1889 erschien die Zeitschrift «La Esperantisto». Als allerdings ein Gastbeitrag Lew Tolstois unter dem Titel «Vernunft und Glaube» erschien, fiel die Zeitschrift augenblicklich der russischen Zensur zum Opfer. Damit verlor sie 60 Prozent ihrer Abonennten und musste die Schotten dicht machen.

Doch die Esperanto-Sprachgemeinschaft war gewachsen und so übernahmen die Esperantisten in Uppsala den Druck einer Zeitschrift für ihre Sprachgemeinschaft. Unter dem Titel «Lingvo Internacia» druckten sie Beiträge, die Esperanto-Sprecher welt- oder zumindest europaweit teilen konnten.

Esperanto – Verboten und verfolgt

Eine Sprache, die die Welt eint? Vorurteile abbaut und Nächstenliebe stärkt? Das konnte Männern wie Adolf Hitler oder Josef Stalin nicht gefallen. Sie waren es denn auch, die Esperanto mit Erlassen, Verboten und Verfolgung zum Verstummen bringen wollten. 1935 verkündeten die Nationalsozialisten: «Die Pflege künstlich geschaffener Welthilfssprachen wie der Esperantosprache hat im nationalsozialistischen Staate keinen Raum.»

Papst Benedikt XVI.
Papst Johannes Paul II. war der Vorgänger von Papst Benedikt XVI. . - Keystone

Unter Stalin starben zahlreiche Esperanto-Sprecher in Arbeitslagern. Die «erfundene» Sprache wurde als Instrument zur Spionage und geheimer anti-kommunistischer Kommunikation diskreditiert. Auch in der DDR wurde das als Weltsprache konzipierte Esperanto nur unter strenger Aufsicht und mit der Vorlage erlaubt, dass die DDR bei Treffen im Ausland positiv dargestellt werde.

Erst als der Eiserne Vorhang gelüftet wurde, konnten auch die Esperanto-Gesellschaften im Osten frei sprechen. Da sich mittlerweile aber das Englisch zur Weltsprache gemausert hatte, trat Esperanto seinen Dienst als Welten-Vereiner ab und sein Schattendasein als internationales Liebhaberstück an.

Mitglieder der Esperanto-Sprachgemeinschaft halten ein Schild mit der Aufschrift «Hallo, wie geht es dir» hoch.
Mitglieder der Esperanto-Sprachgemeinschaft halten ein Schild mit der Aufschrift «Hallo, wie geht es dir» hoch. - Keystone

So spricht man Esperanto

Das Esperanto-Wörterbuch liest sich wie eine Reise durch die romanische Sprachwelt, mit häufigen Zwischenstopps im Latein. Doch auch viele deutsche und russische Begriffe fanden Eingang in die neue sogenannte Plansprache.

Die Grammatik erscheint vielen Sprachschülern als Traum: Einfache Regeln, keine Ausnahmen. «Die Sprache», beschied Zamenhof, «muss sehr leicht sein, so dass sie jeder so zu sagen spielend erlernen kann».

Sitzen Sie gerade am Komputilo?

Bis heute sprechen Menschen aus 117 verschiedenen Staaten Esperanto. Der Esperanto-Weltbund (UEA) geht von 150'000 regelmässigen Esperanto-Sprechern aus. 1000 Menschen geben Esperanto aktuell als Muttersprache an. Weltweit beherrschen die Sprache rund zwei Millionen Menschen.

Damit der moderne Alltag Eingang in die Diskussionen auf Esperanto findet, werden dem Wörterbuch regelmässig neue Worte einverleibt. So zum Beispiel televido (Fernsehen), komputilo (Computer, wörtlich: Recheninstrument), aidoso (AIDS) oder modemo (Modem).

Die meisten Esperanto-Sprecher gruppieren sich in nationalen Sprachgesellschaften. Die Schweizerische gehört dabei zu den ersten überhaupt. Sie wurde 1903, also vor exakt 115 Jahren, gegründet. Und sie besteht bis heute.

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