Organspende-Jubiläum: Basel hat die älteste transplantierte Niere
Vor 50 Jahren bekam Walter Thalmann eine neue Niere. Sie hält bis heute. Das ist ein Rekord. Doch wie und wann wird ein Spendeorgan überhaupt transplantiert?
Das Wichtigste in Kürze
- Ende 2017 standen 1478 Patienten auf der Schweizer Warteliste für ein Spenderorgan.
- Mit 145 Tot- und 137 Lebendspenden konnten 577 Patienten gerettet werden.
- 75 Patienten auf der Warteliste starben, weil kein passendes Organ gefunden werden konnte.
Heute feiert das Universitätsspital Basel einen knapp verpassten Weltrekord: 1968 wurde Walter Thalmann eine neue Niere eingesetzt. Unter optimalen Bedingungen geben Mediziner einer Spendenniere knapp 20 Jahre Lebenszeit. Der junge Mann ist alt geworden - seine Niere auch. Mit 50 Jahren ist seine Spenderniere die älteste in Europa.
Sie wäre gar die älteste der Welt, hätten New Yorker Ärzte nicht drei Monate vor den Baslern eine andere Niere transplantiert, die ebenfalls noch immer hält. So oder so wird am Universitätsspital heute mit einem grossen Symposium informiert und gefeiert.
Während in Basel die Gläser klingen, wollte Nau wissen: Wie geht das überhaupt, Organspende?
Die wenigsten werden zu Spendern
«Selbst wenn man sich zur Spende entschliesst, ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass die Organe tatsächlich entnommen werden», sagt Jürg Steiger, Chefarzt und Transplantations-Spezialist am Unispital Basel. Warum? «Organe können maximal zehn Minuten ohne Versorgung durch frisches Blut überleben. Wenn das Herz länger nicht mehr schlägt, ist alles kaputt», erklärt der Experte. Als Spender in Frage kommt also nur, wer mit schlagendem Herz im Krankenhaus ankommt. Nur dann werden die Organe via Blut mit genügend Sauerstoff versorgt und können ihren Besitzer überleben.
Hier aber liegt bei vielen Menschen die grosse Angst: Wenn Organe nur einem Körper entnommen werden können, dessen Herz noch schlägt – lebt man dann bei der Entnahme noch? Vergibt man die Chance auf Heilung und Weiterleben, indem man auf dem Organspende-Ausweis «ja» ankreuzt?
Hirntod feststellen
Steiger schüttelt den Kopf. «Ein Patient wird erst als Spender in Betracht gezogen, wenn klar ist, dass er nicht mehr leben wird.» Erst dann werden die Angehörigen auf das Thema Organspende angesprochen.
In den meisten Ländern wird der Tod zur Tatsache, sobald der Patient keinen eigenen Puls mehr hat. «Die Schweiz ist aber eines von zwei Ländern, dass bei Spendern nach der Pulslosigkeit auch noch eine Hirntoddiagnostik verlangt.» Zwei Spezialisten führen unabhängig voneinander bestimmte Tests durch, die zeigen, ob ein Patient hirntot ist oder nicht. «Wer am Ende ganz sicher sein will, dass er tot ist, muss Spender werden», sagt Steiger. Denn nur in diesem Falle werde der Hirntod klinisch festgestellt.
Das Herz muss schlagen
Dass das Herz zu diesem Zeitpunkt dank Maschinen noch schlägt, ändere nichts an der Tatsache, dass der Patient verstorben sei. «Wenn wir Leben damit definieren, dass die Zellen noch funktionieren, dann begraben wir sehr viele Menschen lebendig», sagt Steiger. Nägel und Haare wachsen nämlich noch zwei bis drei Tage nach dem Tod weiter. «Aber das Leben steckt weder im Nagel, noch in den Nieren.»
Die Uhr tickt
Steht der Tod fest, wird nach einem Empfänger gesucht. Dazu gibt es nationale Register, in denen jene Patienten, die das Organ am dringendsten brauchen, die obersten Plätze besetzen. «Innerhalb von maximal 48 Stunden muss die Transplantation stattfinden. In der Schweiz allerdings schaffen wir es meist bereits in den ersten zwölf Stunden», so Steiger.
«Wenn die Blutgruppe und verschiedene Faktoren
wie Antikörper und körperliche Verfassung stimmen, wird das Organ transplantiert.»
Mediziner gehen davon aus, dass auch das Alter eine Rolle spielt: «Am besten
ist es, wenn das Organ nicht mehr als zehn Jahre jünger ist als der Patient,
aber auch nicht mehr als 15 Jahre älter.»
Nach dem Schweizerischen
Organspende-Gesetz darf das Alter allerdings keine Rolle spielen. «Das heisst, einer
alten Frau kann das Organ einer jungen eingesetzt werden und umgekehrt.» Weil das
nicht viel Sinn macht, versucht Steiger wann immer möglich, Rücksicht auf das
Alter zu nehmen.
Das unterdrückte Immunsystem
Beim Einsetzen wird das Organ an den neuen Körper «angeschlossen»: «Venen und Artherien werden verbunden. Bei einer neuen Niere zum Beispiel wird auch der Harnleiter eingenäht», erklärt Steiger.
Sobald das Organ transplantiert wurde, bekommt sein neuer Besitzer Medikamente verabreicht, die das Immunsystem unterdrücken. Dieses ist darauf getrimmt, Fremdkörper sofort zu erkennen und abzustossen. «Aber beim Spenderorgan wollen wir das natürlich nicht». Ein heruntergefahrenes Immunsystem bedeutet für die Patienten allerdings auch, dass andere Fremdkörper wie Tumorzellen oder Viren schlechter erkannt und eliminiert werden können.
«Die Immunsubpression erhöht das Tumorwachstum. Die Patienten werden darum besonders auf Hautkrebs sehr regelmässig kontrolliert – fast 60 Prozent entwickeln einen solchen.» Auch eine Grippe dauert bei Patienten mit unterdrücktem Immunsystem länger «und sie sind anfälliger für virale Infekte wie zum Beispiel Herpes», erklärt Steiger.
Die Angst vor der Abstossung
Die grösste Angst vieler Menschen, die Jahre auf ein Spenderorgan gewartet haben, ist aber nicht der Krebs. Es ist die Abstossung des langersehnten Organs. «Eine Abstossung ist heute sehr selten», beruhigt Steiger. Zu viele Tests werden vor und nach der Transplantation durchgeführt. Zudem werde ein Organ auch nicht über Nacht abgestossen: «Das ist ein schleichender Prozess, den wir in den Untersuchungen früh erkennen und meist verhindern können.»
Der letzte Fall einer Abstossung, an den Steiger sich erinnert, war eine junge Patientin, die die Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems abgesetzt hatte.
Lebend- oder Totspende
Während Lunge, Herz oder Leber zwingend Totspenden sind, sieht es bei der Niere anders aus: «Wir Menschen werden mit einer zu hohen Nierenleistung geboren, wir haben zwei Nieren und können davon eine abgeben», sagt Steiger. «Meist sind es Partner oder nahe Verwandte, die sich zu einer Spende entscheiden.»
Die Nachsorge zeige zudem, dass Nierenspender überdurchschnittlich alt werden. «Das hängt einerseits damit zusammen, dass nur gesunde Menschen als Spender in Frage kommen», sagt Steiger, «und andererseits mit den regelmässigen, medizinischen Kontrollen alle zwei Jahre.»