«Der Läufer» – im Kopf des Monsters
Die Geschichte von «Messerstecher» Mischa Ebner erschütterte 2002 die Schweiz. Jetzt wurde der Berner Kriminalfall mit Max Hubacher in der Hauptrolle verfilmt.
Das Wichtigste in Kürze
- «Der Läufer» von Regisseur Hannes Baumgartner startet am 4. Oktober in der Schweiz.
- Schauspieler Max Hubacher brilliert in der Rolle des Berner «Mitternachtsmörders».
Wer 2002 in Bern lebte und den Kinderschuhen einigermassen entwachsen war, kommt nicht umhin, seine Geschichte zu kennen: Jene vom «Messerstecher» oder «Mitternachtsmörder».
Er lauert Frauen auf, nachts, auf dem Heimweg. Entreisst ihnen die Handtasche, schlägt sie, zückt das Messer – und schickt ihnen ihre Wertsachen später zusammen mit einem Entschuldigungsschreiben nach Hause. «Und das in Bern», raunen die Leute und behalten ihre Kinder im Haus.
Eine junge Frau stirbt, bevor der Lauf des «Messerstechers» gestoppt werden kann. Der Mörder, allein mit dem Wissen um seine Taten in der Untersuchungszelle, erhängt sich, bevor es zum Prozess kommen kann.
Mischa Ebner – die wahre Vorlage
Die Geschichte vom «Mitternachtsmörder» ist jene des damals 27-jährigen Waffenläufers und Kochs Mischa Ebner. Regisseur Hannes Baumgartner hat sie zur Inspiration und Vorlage für seinen ersten Langfilm «Der Läufer» gemacht.
Aufgewachsen in einer Pflegefamilie, nachdem man ihn komplett verwahrlost den eigenen Eltern hatte wegnehmen müssen, beginnt das Leben des Läufers denkbar traurig. Doch es scheint bergauf zu gehen.
Das verwahrloste Kind wird zu einem verbissenen, vielleicht manchmal verstockten, aber liebenswürdigen jungen Mann. Trainiert als Langstreckenläufer für Olympia, wird im Beruf geachtet, in seinem Umfeld geschätzt. Sucht nach einer Wohnung, die vor allem der Freundin gefällt.
Doch nachts findet er keinen Schlaf. Er jagt ihn, hetzt ihn, hält ihn wach: Sein Bruder, der einzige, der wirklich Zugang zu ihm hat. Sein Verbündeter, sein Daheim. Er taucht immer wieder auf, obwohl er doch für immer gegangen ist. Suizid durch Erhängen. Der Läufer wird es ihm bald gleichtun.
Davor aber bieten ihm alle Hand: Der Arzt empfiehlt eine Psychotherapie, die Freundin will zuhören, die Pflegemutter ist immer da. Genutzt hat alles nichts.
«Der Läufer» ist fiktive Wahrheit
«Der Läufer» erzählt seine Geschichte parallel zu den Tatsachen. Ein «Biopic», betonen die Beteiligten immer wieder, sei der Film aber nicht. Obwohl eine über dreijährige Recherche zu Fall, Täter und Beteiligten dahinter steckt.
«Ich konnte nie vollständig er sein - und das ist richtig so», sagt Hauptdarsteller Max Hubacher. Er sei froh, habe seine Figur einen neuen Namen – Jonas, nämlich – bekommen, spiele die Geschichte 2014. Und bleibe sie dort, wo man zu viel hätte rätseln und interpretieren müssen, einfach nur Fiktion.
Fiktion, die einem den Boden unter den Füssen wegreisst. Fiktion, die das Herz pochen und den eigenen Atem schneller gehen lässt. Fiktion, die den Bauch mit kalter Angst füllt.
Im Kopf des Monsters
Baumgartner erzählt seine Geschichte konsequent aus der Perspektive des Täters. Ist ganz nah dran, wenn sich Schleier der Trauer und der Verzweiflung über die Augen des jungen Mannes legen, dem man eigentlich nur wünscht, mal bisschen locker werden zu können. Mit dem man um Siege, Liebe, Teilnahmen, Verletzungen und ein Stück Glück bangt.
92 Minuten lang sitzen wir im Kopf des Monsters. Doch mindestens 80 davon ist er keines.
Denn der Berner Schauspieler Max Hubacher gibt mit wenig Worten und viel Mimik einen äusserst menschlichen Jonas. Einen, der Pech hatte und der es umso besser machen will. Als er zum ersten Mal einer Frau die Tasche entreisst, scheint er das Opfer. Ungehobelt war sie. Frech. Ein bisschen auch, hat sie es verdient, ist jetzt die Tasche weg.
Ganz langsam lässt Hubacher jetzt die Verzweiflung zu Brutalität werden. Und bodenloses, unglaubliches Grauen füllt den Kopf. «Der Läufer» ist weder Schönmalerei, noch Gewalt-Voyeurismus. Sondern ein Film, dem es gelingt, auf dem schmalen Grat von «echt» zu bleiben.
★★★★☆
Ab dem 4. Oktober im Kino.