Auf Pianosa zu Gast bei Häftlingen
Auf Pianosa, einer kleinen Insel bei Elba, werden die Touristen von rund 30 Strafgefangenen empfangen. Ein Besuch auf der wohl speziellsten Insel im Mittelmeer.
Das Wichtigste in Kürze
- Auf der Insel Pianosa bei Elba dürfen Verbrecher einen Teil ihrer Haftstrasse absitzen.
- Die Häftlinge können sich auf der kleinen Insel relativ frei bewegen und Touristen bewirten.
«Buongiorno Signora, il biglietto, per favore». Freundlich begrüsst Franco* die Touristen, die im Hafen von Marina di Campo ins Boot steigen, um auf die 14 Kilometer entfernte Insel Pianosa zu fahren. Franco ist charmant, wie man es von Italienern gewöhnt ist. Schelmisches Grinsen, braun gebrannt und gut gelaunt. Aber er ist kein gewöhnlicher Angestellter: Franco verbüsst im Gefängnis von Porto Azzurro auf der Insel Elba eine Haftstrafe.
Er ist einer der zur Zeit des Besuches 27 Häftlinge, die sich im Gefängnis – meist auf dem italienischen Festland – sehr gut benommen haben und einen Teil ihrer Haftstrafe nun auf der Insel Pianosa absitzen dürfen. Den Entscheid dafür fällt ein Team von verschiedenen Experten. Franco und seinen Mitinsassen wird viel Vertrauen geschenkt: Smartphone, Computer, Skype und Besuch von Angehörigen – alles ist erlaubt, auch frei bewegen können sie sich. Allerdings ist die Toleranzgrenze sehr niedrig: Wer verschläft, seine Arbeit unsorgfältig ausführt oder sich mit anderen Häftlingen anlegt, wandert schnurstracks zurück in den «richtigen» Knast.
Bis jetzt kein Zwischenfall
«Das Ziel ist nicht, dass möglichst viele Strafgefangene hierherkommen. Aber wenn sie sich sehr gut benehmen, dann kann dies eine Möglichkeit sein, die Resozialisierung zu fördern und auch früher entlassen zu werden», sagt Massimo Morlacchi, der das Projekt koordiniert. Dies scheint zu funktionieren, wie er anfügt: «Seit dem Start im Jahr 2005 gab es keinen einzigen Zwischenfall». Wobei diese Aussage ein wenig relativiert werden muss: Ein elbanischer Kollege hat mir erzählt, dass vor einigen Jahren zwei Insassen aus Möbeln ein Floss gebaut und sich so nach Fetovaia auf der Insel Elba abgesetzt und das Weite gesucht hätten.
So oder so: Die Gefangenen wissen, was sie haben und sie schätzen das Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird. So erzählt David*, dass sie sich auf der Insel frei bewegen dürfen, anstatt in engen Zellen in geräumigen Zimmern wohnen. Auch ein Schwatz mit Touristen oder ein Bad im Meer seien möglich. Und dies, ohne dass sie auf Schritt und Tritt begleitet und überwacht werden. «Als ich hierherkam, konnte ich erstmals seit neun Jahren wieder meine Frau sehen und mit ihr ein paar Tage verbringen», sagt er.
Mehrheitlich Schwerverbrecher
Es sind alle möglichen Strafgefangenen, die man heute auf Pianosa antrifft; 60 Prozent von ihnen sind Italiener, der Rest Nordafrikaner oder Osteuropäer. Sehr häufig sind es Schwerverbrecher. Auch der aus Armenien stammende David, der seit 2014 auf Pianosa lebt und uns Red und Antwort steht. Nur zu seiner Straftat darf er sich uns gegenüber nicht äussern. Eine Lappalie war sie aber mit Sicherheit nicht, denn er verbüsst eine mehr als zehnjährige Haftstrafe. Dass er hier auf Pianosa sein kann, bedeutet ihm sehr viel. «Pianosa ist ein guter Ort, um sich grundsätzliche Gedanken über sein Leben zu machen», betont er. Er habe einige Fehler begangen. Jetzt wolle er sich auf sein Leben danach vorbereiten.
Projekt soll erweitert werden
Das Projekt ist laut Massimo Morlacchi ein Erfolg. Bereits denkt man über einen Ausbau nach. «Wir würden am liebsten die Zahl der Gefangenen auf 50 erhöhen», sagt er. Jetzt muss nur noch das Geld dafür gesprochen werden. «Wenn es schnell geht, sind wir in sieben Monaten so weit, sonst in ein bis zwei Jahren».
In den kommenden Jahren möchte auch Franca Zanichelli, die Direktorin des Nationalparks des toskanischen Archipels, die Nutzung der Insel vorantreiben. Ihr schwebt vor, die vorhandenen Strukturen neu zu konzipieren und touristisch zu nutzen. Zeithorizont kann sie keinen nennen. Und bekanntlich mahlen die Mühlen in Italien noch etwas langsamer als in unseren Breitengraden.
Die Voraussetzungen aber sind optimal: Pianosa verfügt über seltene Pflanzen und Tiere. Und gerade wegen dem früheren Hochsicherheitsgefängnis blieb die Insel weitgehendst unberührt. Unzählige Möwen nisten auf Pianosa, Bussards und Wanderfalken trifft man genauso an wie Gelbschnabelsturmtaucher und Kormorane. Auch unter Wasser tummelt sich eine Vielfalt an Tieren. Wolfsbarsche, Mantas, Zackenbarsche, Delfine… Letztere haben unser Boot auf der Rückfahrt nach Elba begleitet.
Maximal 250 Besucher pro Tag
Aktuell dürfen pro Tag maximal 250 Touristen auf die zehn Quadratmeter grosse Insel, deren höchste Erhebung gerade mal 27 Meter beträgt. Man kann das Eiland wandernd oder per Kajak entdecken. Ohne Guide dürfen sich die Besucher allerdings nur im Zentrum aufhalten, wo es ausser den heruntergekommenen Hafengebäuden, einer einfachen Bar, einem kleinen Hotel und dem schönen, aber auch überschaubaren Strandabschnitt nicht viel zu sehen gibt.
Wer genügend Zeit hat, ab und zu auch die Stille schätzt und interessiert ist, mehr über das Leben auf der Insel und ihre vorübergehenden Einwohner zu erfahren, dem sei eine Übernachtung empfohlen. Umso mehr, als dass Pianosa nicht in die Kategorie „Liebe auf den ersten Blick“ gehört. Die Insel wirkt weder vom Meer aus noch bei der Ankunft im Hafen sehr einladend.
Ob mit Übernachtung oder ohne: Franco und seine Kollegen freuen sich über alle Gäste, die ein Stück vom «normalen» Leben in Freiheit auf die Insel bringen. Alleine dafür lohnt sich ein «giro a Pianosa». Ohne darum gleich ins «Gefängnis zu müssen», wie die Italiener umgangssprachlich zu sagen pflegen.
*Namen auf Wunsch der Häftlinge geändert
Weiterführende Informationen
Hier findest du Wandertipps für die Insel Elba.
www.travelistas.info - der Blog für Reise-Insider