Wie das Rätoromanisch zur Landessprache wurde
Das Wichtigste in Kürze
- Das Rätoromanische wurde 1938 als offizielle Landessprache anerkannt.
- Massgeblich dafür war der aufkommende Faschismus.
- Die Wurzeln der Sprache gehen auf das römische Reich zurück.
Rätoromanisch ist aus dem Schweizer Selbstverständnis nicht mehr wegzudenken. Auch wenn nur noch 0,5 % der Bevölkerung, also etwa 40'000 Menschen, regelmässig die Sprache sprechen, ist sie neben Französisch, Deutsch und Italienisch eine gleichwertige Landessprache. Sie ist die älteste der vier Sprachen, aber erst vor 86 Jahren wurde sie als vollwertige Landessprache anerkannt.
Lange galt das Rätoromanische eher als veraltet und wurde als Belastung betrachtet. Erst im Jahr 1938, vor dem Hintergrund des aufziehenden Faschismus, gewann das Rätoromanische an Sympathie.
Denn für die italienischen Faschisten galt: italophone Gebiete ausserhalb der Staatsgrenze müssten wieder Italien zugehörig werden. Das Rätoromanische war aus Sicht der Faschisten lediglich ein lombardischer Dialekt.
Um diese Zeit schwor sich die Schweiz auf ihre kulturelle Vielfalt ein. Dem Führerkult, wie er sich in Deutschland und Italien abzeichnete, wollte man sich nicht beugen. Die Bündner Bergler, die als eigensinnig und unbeugsam galten, passten plötzlich in das Selbstbild des Landes.
Eindeutiges Abstimmungsergebnis
Als am 20. Februar 1938 die Schweizer darüber abstimmten, ob das Rumantsch als Landessprache anerkannt werden sollte, ging es also nicht nur um die Bewahrung der Sprache. Es war zugleich ein kräftiges Nein gegen den Faschismus.
Das Abstimmungsergebnis war eindeutig: Über 90 Prozent der Stimmberechtigten votierten mit einem Ja, Genf sprach sich sogar mit wuchtigen 99 Prozent dafür aus! Plötzlich wurde das Rätoromanische geliebt und gefeiert. In der Landesausstellung 1939 folgte der Höhepunkt: Die Nationalhymne auf vier Sprachen: Deutsch, Italienisch, Französisch – und neu Romanisch.
Wusstest du, wann das Romanische als Landessprache anerkannt wurde?
Noch während der Ausstellung brach der Krieg aus. Doch dem Romanischen konnten die Kriegswirren nichts mehr anhaben. Die vierte Landessprache war bereits in das kulturelle Selbstverständnis übergegangen.
Bedrohung von innen
Heute ist die Sprache wieder bedroht, allerdings von innen, sagt Johannes Flury, Präsident der romanischen Dachorganisation «Lia Rumantscha». Immer seltener hört man die Sprache im Bündnerland. Die Jungen ziehen weg in die grösseren Städte, dafür ziehen mehr Menschen aus der Deutschschweiz und anderen Sprachregionen nach Graubünden.
Das Rätoromanische ist heute in der ganzen Schweiz verteilt. Der Sprache wird viel Sympathie entgegengebracht. Aber das ist nicht genug: Damit die älteste Sprache der Schweiz nicht ausstirbt, muss sie aktiv gefördert und ihre Entwicklung unterstützt werden. Mit dem Verlust des Rätoromanischen ginge nicht nur eine Sprache verloren, sondern ein kulturelles Erbe, das bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht.
Lange Geschichte des Rätoromanischen
Das Rätoromanische hat eine lange und komplexe Geschichte, die tief in die antike und mittelalterliche Vergangenheit der Schweiz und des Alpenraums zurückreicht. Als Anfangspunkt der Geschichte des Rätoromanischen gilt laut dem Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) die Eroberung der alpinen Gebiete 15 vor Christus.
Daraus entstand später die Provinz Raetia. Die lokalen keltischen und rätischen Sprachen vermischten sich mit dem Latein der römischen Beamten und Soldaten. Aus dieser Verschmelzung entstand eine volkslateinische Variante, die sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelte.
Nach dem Fall des Römischen Reiches im 5. Jahrhundert n. Chr. blieb das Lateinische in Form von lokalen romanischen Dialekten erhalten. Diese entwickelten sich isoliert weiter, besonders in den abgelegenen Tälern der Alpen.
Mit der Ausdehnung des deutschen Sprachraums und der zunehmenden Macht der deutschsprachigen Herrscher und Feudalherren ab dem 13. Jahrhundert, begann das Rätoromanische allmählich an Bedeutung zu verlieren. Trotzdem konnte es sich in abgelegenen und weniger zugänglichen Regionen, wie es am heutigen Kanton Graubünden zu sehen ist, behaupten.
Fünf unterschiedliche Idiome
Heute gibt es in Graubünden fünf romanische Sprachregionen. Diese haben sich aufgrund der früheren Abgeschiedenheit vieler Orte und Täler unabhängig voneinander entwickelt.
Das Sursilvan ist das meistverbreitete Idiom. Daneben gibt es das Vallader, Puter, Surmiran und das am wenigsten geläufige Sutsilvan. Daneben gibt es noch dutzende lokale Ortsdialekte.
Die Idiome sind untereinander teilweise sehr unterschiedlich. Deshalb wurde versucht, mit dem sogenannten Rumantsch Grischun eine einheitliche Schriftsprache zu etablieren. Seit 2001 ist das romanische Amtssprache auf Kantonsebene, in den Schulen wird aber wieder vermehrt das regionale Idiom unterrichtet.