Tierschutz in der Ukraine: Das Schicksal der verlassenen Tiere
Nicht nur Menschen, auch die Tiere leiden unter dem Krieg in der Ukraine. Die Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz setzt sich für diese Tiere ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz hilft Tieren in und aus der Ukraine.
- Die Gründerin Susy Utzinger erzählt im Interview, was sie vor Ort leisten.
- Nach der ersten Nothilfe folgt nun die nachhaltige Aufbauhilfe.
- Noch ist viel zu tun für den Tierschutz in der Ukraine.
Der Krieg in der Ukraine brachte nicht nur grosses Leid für die Menschen, sondern auch für die Tiere. Zahlreiche Tiere mussten zurückgelassen werden und sich plötzlich alleine durchschlagen. Viele davon überlebten nicht. Andere hatten mehr Glück und konnten mit ihren Besitzern das Land verlassen.
Die Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz hilft beiden: den Zurückgelassenen und den Neuankömmlingen in der Schweiz. Wir haben mit der Gründerin Susy Utzinger über ihre Arbeit gesprochen und nachgefragt, wie die aktuelle Situation ist.
Nau.ch: Warum haben Sie sich entschieden, in der Ukraine aktiv zu werden?
Susy Utzinger: Der Krieg in Europa hat uns alle schockiert. Dabei war uns schnell klar, dass das auch zu grosser Not für die Tiere führen wird. Der Einsatz für Tiere ist unsere Arbeit. Deshalb haben wir uns entschieden, auch den Tieren in der Ukraine zu helfen.
Am Anfang ging es darum, Soforthilfe zu leisten. Dabei sind wir auf viele Herausforderungen gestossen.
Vor Ort herrschte zunächst einmal Schock, Verwirrung und Planlosigkeit. Teilweise gab es keinen Strom und kein Internet. Leute, die zuerst bleiben wollten, haben sich später doch entschieden zu gehen – verständlicherweise. Dies hat die Arbeit zunächst erschwert und wir mussten uns alle zuerst zurechtfinden.
Wie hat sich die Situation der Tiere und die Arbeit für den Tierschutz in der Ukraine seit Kriegsbeginn verändert?
Mittlerweile hat sich die Arbeit eingependelt – soweit man das in einer Kriegssituation sagen kann. Es haben sich Hauptakteure herauskristallisiert, mit denen wir besonders gut und seriös zusammenarbeiten können. Nun können wir auch mehr Professionalität und einen nachhaltigeren Tierschutz aufbauen.
Die Arbeit der Stiftung basiert auf vier Pfeilern: Tierheimunterstützung, Kastration, Information der Bevölkerung und Aus- und Weiterbildung der Fachleute. Dies können wir jetzt in Angriff nehmen. Das war am Anfang nicht möglich, da es nur um die Erstversorgung ging.
Die erste Phase des Krieges war für uns der blanke Horror. Die Not war unglaublich gross. Wir haben sehr viel Berichte erhalten von alleingelassenen Tieren. Einerseits sind die Tiere freigelassen worden, andere wurden in der Wohnung, an der Kette oder im Stall zurückgelassen.
Das war himmeltraurig.
Wenn die Tiere keinen Anschluss gefunden haben, sind sie mittlerweile kläglich gestorben. Von den Hunden, die auf der Strasse leben, gibt es mittlerweile auch Junge. Das heisst, wir müssen jetzt dringend die Kastrationsprojekte aufbauen.
Aber auch wenn sich die Arbeitssituation etwas beruhigt hat, das Leid ist noch immer sehr präsent.
Wie hat sich die Situation in der Schweiz verändert?
Viele Menschen sind mit ihren Haustieren geflüchtet. Deshalb haben wir die Hilfe für die Tiere der Geflüchteten in der Schweiz ausgebaut. Die Tiere konnten gratis geimpft, behandelt und kastriert werden. Das hat sehr gut funktioniert und die Situation hat sich auch hier gut eingependelt.
Was aber schwieriger ist: Die Bevölkerung in der Schweiz ist kriegsmüde geworden. Wir merken, dass die grosse monetäre Unterstützung ausbleibt, mit der wir am Anfang schnell und grossflächig agieren konnten.
Konkret bedeutet das für uns, dass wir weniger helfen können. Wir kriegen noch immer sehr viele Hilfsanfragen, zum Beispiel für Futterlieferungen. Diese müssen wir dann leider ablehnen, da die finanziellen Mittel fehlen.
Das stösst teilweise auch auf Unverständnis seitens der lokalen Partner. Sie wissen nicht, dass wir nicht auf einem riesigen Berg von Geld sitzen. Die Stiftung verfolgt nicht das Ziel, Vermögen anzuhäufen, sondern wir arbeiten mit dem Geld, das wir erhalten.
Welches Erlebnis ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben – im positiven oder negativen Sinne?
Zu Beginn gab es einen schockierenden Moment: Unser Partnertierheim Gostomel hat uns Videos ihres bombardierten Tierheims geschickt. Alles ging kaputt, die Hunde rannten davon. Auch die Tierpfleger wurden verletzt, eine Pflegerin hatte einen Granatsplitter im Bauch.
Ein anderes Tierheim in Borodyanka wurde so stark beschossen, dass erst einen Monat später nach den Tieren geschaut werden konnte. Offenbar waren die Betreiber des städtischen Tierheims, ohne die Versorgung der Tiere zu sichern, geflüchtet. Katzen waren gar keine mehr da. 500 Hunde waren über 30 Tage lang ohne Wasser und Futter in ihren Zwingern eingesperrt.
270 von ihnen verhungerten und verdursteten elendiglich. Die restlichen 230 stark dehydrierten und abgemagerten Hunde wurden von Freiwilligen und Tierschützern mit viel intensiver Betreuung wieder aufgepeppelt.
Neun davon haben wir nun Ende April in unserem SUST-Shelter Galati, Rumänien, untergebracht. Hier werden sie weiter medizinisch behandelt und resozialisiert.
Diese Geschichten sind sehr schwer zu ertragen. Mittlerweile kann ich besser mit solchen Situationen umgehen und mich darauf fokussieren, was getan werden muss.
Die Menschen vor Ort teilen immer wieder positive Geschichten mit uns. Das motiviert mich. Auch zu sehen, wie unsere Hilfe ankommt, ist einfach schön. Wenn mitten im Chaos ein Tierheim gebaut wird, ist das einfach nur beeindruckend.
Die Gespräche mit den Menschen vor Ort sind für uns eine grosse Motivationsquelle. Diese Menschen wollen dort bleiben, um den Tieren zu helfen. Sie könnten auch fliehen. Aber nur dank ihnen können auch wir helfen.
Das finde ich jedes Mal ergreifend.
Wie kann man sich von der Schweiz aus für den Tierschutz in der Ukraine einsetzen?
Wir sind sehr dankbar für Spenden für Futtermittel und Hilfsmittel für Tierheime und Kliniken. Beispielsweise sind wir im Moment gerade daran, mit der Organisation Dobra Dolya eine Klinik in Kyiv zu bauen. Da fehlen noch 7000 Euro.
Für den Aufbau eines Tierheimes werden noch zusätzlich 20‘000 bis 30‘000 Euro benötigt. Zudem sind wir daran, Tierpfleger und Fachpersonen wie Kastrationstierärzte aufzubauen. Auch haben wir immer wieder viele Anfragen für Futter und Kastrationen.
Über Social Media kann unsere Arbeit verfolgt werden. Wir kommunizieren bei allen Projekten offen und transparent, wofür wir Geld einsetzen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Tiere in der Ukraine?
Natürlich möchte ich, dass der Krieg endet. Aber mit dem Ende des Krieges ist noch nicht alles gut. Die Tierschutzsituation war auch vor dem Krieg schwierig und wir müssen noch über Jahre nachhaltigen Tierschutz aufbauen.
Es ist so viel zerstört worden. Ich wünsche mir, dass die aktuellen Unterstützer die Tiere nicht vergessen, auch nach dem Krieg nicht.