Was bedeutet «Welpenschutz» – und gibt es ihn wirklich?
Ist der süüüss! Zu einem kleinen Hundebaby kann man einfach nur lieb sein – nicht nur als Mensch, sondern auch als älterer Hund. Es gilt Welpenschutz – oder?
Das Wichtigste in Kürze
- «Welpenschutz» bezeichnet die Vorstellung, dass ältere Hunde Welpen nichts antun.
- Die Wirklichkeit sieht leider anders aus.
- Wo Welpen auf ältere Hunde treffen, sollte der Besitzer deshalb besonders aufmerksam sein.
- Gut sind Hundeschulen, die gezielt Begegnungen zwischen älteren und jüngeren Hunden üben.
Seit über 20 Jahren beschäftigt sich Judith Böhnke professionell mit Hunden. Doch es gibt eine Sache, die bereitet ihr immer wieder Sorgen.
Dann, wenn bei Hundebegegnungen Jung und Alt aufeinandertreffen und der Besitzer des älteren Hundes sagt: «Alles kein Problem – Ihrer hat doch Welpenschutz!»
Darüber kann die Hunde-Verhaltenstherapeutin nur den Kopf schütteln. «Das ist eine ganz gefährliche Kiste», sagt sie. «Ich weiss zwar nicht, warum es noch immer nicht zu jedem durchgedrungen ist, aber einen Welpenschutz gibt es nicht!»
Weder bei Welpen bis zu zwölf Wochen und erst recht nicht bei Junghunden im Alter von vier bis sechs Monaten.
Toleranzgrenze höchstens im eigenen Rudel
Auch Hundetrainer André Vogt («Der Welpentrainer» auf Sixx) will mit dem viel beschworenen Mythos des angeborenen Welpenschutzes aufräumen.
Sprich: der Vorstellung, dass die Kleinen bei erwachsenen Vierbeinern Narrenfreiheit haben. Und dass diese selbst ein respektloses Verhalten grosszügig dulden.
«Vorsicht», sagt Vogt dazu. «Verlassen Sie sich bitte nicht darauf, dass Ihr Welpe verschont beziehungsweise nicht verletzt wird – das kann böse enden!»
Denn Welpen würden höchstens im eigenen Rudel oder bei Hunden, die an Nachwuchs gewöhnt sind, eine höhere Toleranzgrenze geniessen können. Panik sei bei fremden Hundebegegnungen allerdings fehl am Platze.
«Die allermeisten Hunde bei uns sind nette, gut sozialisierte Hunde, die auch sehr umsichtig mit Welpen sind», so Böhnke.
Denn selbst bei Tieren wirke der Niedlichkeitsfaktor: «Artübergreifend nehmen sie den Nachwuchs als ungefährlich und schützenswert wahr. Auch ausserhalb der eigenen Familie, was vermutlich eine Folge der Domestikation ist.»
Auch erwachsene Hunde können Welpen hassen
Aber verlassen darauf sollte man sich nicht. «Es gibt auch Hunde, die Welpen einfach hassen. So wie es Menschen gibt, die keine Kinder mögen», sagt Böhnke.
Meistens hat man als Welpenbesitzer ein gutes Gespür, ob es Ärger geben könnte. «Natürlich hat nicht jeder erwachsene Hund einen Hass auf die Kleinen. Aber ich rate immer: Passt auf Eure Welpen auf», sagt André Vogt.
Sinnvoll sei es, genau hinzuschauen, wie sich der Ältere verhalte. «Und wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, gehe ich runter und schütze meinen Welpen und passe auf ihn auf.» Der Satz: «Die machen das schon unter sich aus», sei völliger Blödsinn.
«Klar machen sie das – aber dann muss man auch mit den Folgen rechnen.» Und wer Sorgen hat, dass der andere Hund angespannt und genervt ist und zubeissen könnte, sollte den Kleinen einfach auf den Arm nehmen.
«Dieser Schritt ist umstritten», gibt André Vogt zu. Manche Hundetrainer warnen, dass dies beim Welpen die Angst schüren könne. «Aber das würde ich in Kauf nehmen», so der 39-Jährige. «Das Wichtigste ist, dass mir der Welpe vertraut.»
Das sieht auch Judith Böhnke so: «Rückzug ist keine Schande!», sagt sie.
Angriff kann prägend für ganzes Hundeleben sein
Dabei sind es vor allem psychische Folgen, die ein Angriff auslösen kann. «Ein schlimmes Erlebnis kann prägend für ein ganzes Hundeleben und irreversibel sein», sagt Vogt.
Auch das gerade entstandene Vertrauensverhältnis zu Frauchen oder Herrchen könne erschüttert werden. «Aus Sicht des jungen Vierbeiners haben Sie Ihren Job nicht gemacht. Sie haben ihn nicht beschützt», erklärt der Hundetrainer.
Hunde aber zu isolieren und grundsätzlich von Hundebegegnungen fernzuhalten, ist genauso falsch. Judith Böhnke rät zu Hundeschulen, in denen die Kleinen auch Kontakt zu erwachsenen Hunden haben, von denen man wisse, dass sie mit Welpen verträglich sind.
Je älter die Welpen dann werden, umso mehr übernehmen die Grossen das Erziehen.
«Aber immer so, wie es der Schnösel braucht, um es zu verstehen und ohne traumatisiert zu werden.»
Auf dem Weg zum Erwachsenenwerden sei wichtig, auch unangenehme Erfahrungen zu machen. «Sonst brechen sie später vor Angst zusammen, nur wenn sie mal angeknurrt werden."
Für Patricia Lösche vom Berufsverband der Tierverhaltensberater und -trainer kann es für Welpen ein Segen sein, einen gut sozialisierten und erzogenen Hund zum Freund zu haben.
«Der Welpe nimmt ihn sich zumindest bis zur Pubertät als Vorbild, was für Halter sehr arbeitserleichternd sein kann.»
Allerdings gelte das auch für das Gegenteil: Ist der andere Hund schlecht erzogen, ist auch das ein Beispiel für den Jüngeren.