Demokraten im Dilemma: Parlamentswahl in Venezuela
Auch zwei Jahre nach seiner Selbstproklamation als Interimspräsident ist es Juan Guaidó nicht gelungen, Venezuelas Staatschef Maduro vom Thron zu stossen. Die Wahl am Sonntag will er boykottieren. Damit droht er aber auch seine Legitimation zu verlieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Er hat Tausende Menschen auf die Strassen gebracht und Soldaten zur Meuterei angestachelt, er hat auf der ganzen Welt um Unterstützung für seine Gegenregierung geworben und sich Zugang zu den Auslandskonten verschafft.
Genutzt hat es nichts.
Knapp zwei Jahre, nachdem sich Juan Guaidó zu Venezuelas Übergangsstaatschef erklärt hat, sitzt sein Rivale Nicolás Maduro noch immer im Präsidentenpalast Miraflores in Caracas.
Am Sonntag dürfte Guaidó auch die Kontrolle über die Nationalversammlung entgleiten, wo die Opposition seit 2015 eine Mehrheit hatte. Bei der Parlamentswahl werden 277 Abgeordnete gewählt. Die meisten Oppositionsparteien erwarten Wahlbetrug und haben deshalb zum Boykott aufgerufen. Beobachter rechnen deshalb mit einem Sieg von Maduros sozialistischer Regierungspartei PSUV und von regierungsnahen Splitterparteien. Damit würde die Opposition die letzte von ihr kontrollierte Institution verlieren.
«Am 6. Dezember will die Diktatur einen Wahlbetrug verüben», sagte Guaidó in dieser Woche in einer Audiobotschaft. «Es sind noch nicht einmal die Minimalbedingungen für Wahlen erfüllt. Unsere Parteiführer sind von der Wahl ausgeschlossen, sitzen in Haft oder sind im Exil. Das Beste, was wir tun können, ist, die Wahl zu boykottieren.» Die Opposition plant in der Woche nach der Wahl eine Volksbefragung und hat für den 12. Dezember zu Protesten gegen Maduro aufgerufen.
Auch die internationale Gemeinschaft macht sich wenig Hoffnungen auf freie und faire Wahlen. Die EU weigert sich, Beobachter zu schicken, weil sie erst sehr kurzfristig über den Urnengang informiert wurde. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erklärte, freie und faire Wahlen seien in Venezuela derzeit nicht möglich.
Venezuela steckt in einer tiefen politischen Krise. Guaidó hatte sich Anfang 2019 selbst zum Interimspräsidenten erklärt und war von zahlreichen Ländern - darunter die USA und Deutschland - als legitimer Staatschef anerkannt worden. Allerdings gelang es ihm nie, sich in Venezuela selbst durchzusetzen. Maduro wird in dem Machtkampf vor allem vom mächtigen Militär gestützt. Die Vereinten Nationen werfen den Sicherheitskräften schwere Menschenrechtsverletzungen vor.
Während es Guaidó zunächst noch gelungen war, die notorisch zerstrittene Opposition des südamerikanischen Landes hinter sich zu vereinen, traten mit andauernder Erfolglosigkeit auch die Gräben zwischen moderaten Regierungsgegnern und Hardlinern wieder offen zu Tage. «Weil Guaidós Strategie zunehmend einfallslos, unberechenbar und verzweifelt wirkt, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Unterstützung für ihn schwindet», sagte Alejandro Velasco von der New York University dem Fachportal «Latin America Advisor».
Das einst reiche Land steuert zudem immer tiefer in eine humanitäre Krise hinein. Aus Mangel an Devisen und wegen zahlreicher Sanktionen kann es kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importieren. Selbst Benzin ist in dem Land mit den grössten Ölreserven der Welt mittlerweile Mangelware. Laut einer Studie der katholischen Universität Andrés Bello leben 96 Prozent der Haushalte in Armut. Millionen von Venezolanern haben ihre Heimat verlassen.
An der Parlamentswahl werden sich nun vor allem kleine und neue Oppositionsbündnisse sowie von Regierungsfunktionären gekaperte Parteien beteiligen. «Wir werden eine Wahl sehen, an der die Regierung praktisch alleine teilnimmt und eine Opposition, die nicht grundsätzlich die Position der Regierung in Frage stellt», sagte der Rektor der Andrés-Bello-Universität, José Virtuoso, in einem Interview der Menschenrechtsorganisation Provea.
Andere hoffen, dass eine moderatere Opposition in der Nationalversammlung den festgefahrenen Dialog mit der Regierung wieder in Gang bringen könnte. «Wenn die Regierung dazu bereit ist, weniger autoritär aufzutreten und im Parlament über Gesetze zu beraten, könnte das einen befriedenden Effekt haben», sagte der Politikwissenschaftler Ricardo Sucre der Deutschen Presse-Agentur.
Für Guaidó hingegen könnte die Wahl am Sonntag der Anfang vom Ende seines politischen Abenteuers werden, das als Husarenstück begann und zuletzt den Ermüdungstod zu sterben drohte. «Guaidós rechtliche Legitimität beruht auf seiner Präsidentschaft in der Nationalversammlung. Die moralische Legitimität der Opposition beruht auf ihren demokratischen Werten», sagt Professor Velasco. «Sollte Guaidó in Betracht ziehen, weiter Interimspräsident zu bleiben, setzt er die rechtliche und moralische Legitimität aufs Spiel.»